PDA

View Full Version : Floracid Doser


Mime
01.08.2001, 14:17
In einem Beitrag der Juliausgabe der Fachzeitschrift "Brieftaubensport International" schreibt Tierarzt Dr. L.Vietmeyer im Zusammenhang mit der sogenannten Jungtaubenkrankheit, die er als Sommergrippe bezeichnet, von einem Medikament namens Floracid Doser, daß sehr wirkungsvoll sein soll. Es soll antibakteriell und gegen Kokziedien wirken, sowie positiv auf die Darmmotorik wirken und Leber und Nieren kaum belasten. Hat jemand Erfahrungen mit dem Medikament und kann mir mehr über Wirksamkeit, Zusammensetzung und Kosten sagen?

MfG Mime

Tiberius Mohr, Tierarzt
03.08.2001, 00:38
>In einem Beitrag der Juliausgabe der
Fachzeitschrift "Brieftaubensport International" schreibt Tierarzt Dr. L.Vietmeyer im Zusammenhang mit der sogenannten Jungtaubenkrankheit, die er als Sommergrippe bezeichnet, von einem Medikament namens Floracid Doser, daß sehr wirkungsvoll sein soll. Es soll antibakteriell und gegen Kokziedien wirken, sowie positiv auf die Darmmotorik wirken und Leber und Nieren kaum belasten. Hat jemand Erfahrungen mit dem Medikament und kann mir mehr über Wirksamkeit, Zusammensetzung und Kosten sagen?

>MfG Mime

Die Hexamitose, kombiniert mit einem Escherichia coli-Befall und eventuell kompliziert durch Trichomonaden (=“Jungtaubenkrankheit“) als Sommergrippe zu bezeichnen ist nicht nur untertrieben, sondern auch anmaßend und spricht nicht gerade für die Kompetenz des Tierarztes auf diesem Sektor. Diese „Sommergrippe“ dann auch noch mit ungeeigneten, für Tauben schädlichen Präparaten zu behandeln... es kann sich dabei nur um einen Scherz handeln (allerdings um keinen sehr gelungenen).

Nun zum „Wundermittel“, das gegen alles wirkt, angeblich ohne dabei der Taube zu schaden. Floracid-Doser ist eine eingetragene Marke der Firma Albrecht GmbH & Co. KG aus Aulendorf. Es handelt sich dabei um eine Arzneimittelkombination gegen Durchfall bei Rindern, Schafen, Schweinen, Hunden und Katzen.
Für Tauben ist Floracid völlig ungeeignet — aus mehreren Gründen, die bei der Besprechung einiger Inhaltsstoffe deutlich werden.
Da die Firma Albrecht nur Tierärzte und keine Apotheken beliefert, kann Floracid-Doser nicht auf Rezept über die Apotheke (verschreibungspflichtig), sondern nur beim Tierarzt erworben werden.
Eine Flasche (230 ml) kostet etwa 15 DM. Dosierungsangaben für die Anwendung bei Tauben erübrigen sich, weil das Arzneimittel für Tauben nicht geeignet ist.

Floracid-Doser, Zusammensetzung:
1 ml enthält
1) 20,0 mg Neomycin (als Neomycinsulfat)
2) 96,0 mg Succinylsulfathiazol
3) 15,0 mg Atropin (als Atropinsulfat)
4) 8,0 mg Pektin
5) 175,0 mg Kaolin
6) 21,0 mg Tricalcium/orthophosphat
7) 1,0 mg Methyl-4-hydroxybenzoat
8) 0,1 mg Propyl-4- hydroxybenzoat
9) 2,0 mg Natriumbenzoat

Nun zu den Wirkstoffen im einzelnen:

Ad 1) Neomycin
Neomycin gehört zu den Aminoglykosid-Antibiotika und ist demnach bei Tauben ein absolutes Tabu. In der Vogelmedizin wird Neomycin ausschließlich lokal am Auge angewendet. Wenn Neomycin in den Körper der Taube gelangt, führt es zu Schäden an den Nieren. Aus der Gruppe der Aminoglykosid-Antibiotika ist die nierenschädigende Wirkung bei Gentamicin und Neomycin am deutlichsten ausgeprägt (Gentamycin kann bei Tauben ebenfalls nur als Augentropfen oder als Aerosol eingesetzt werden).
Niedrig dosiert wird Neomycin schlecht aus dem Darm aufgenommen — was hinsichtlich der nierenschädigenden Wirkung nicht schlecht ist — in diesem Fall wirkt es aber aufgrund der niedrigen Konzentration im Blut auch nicht gegen Bakterien und führt noch unter Behandlung zu Resistenzbildung. Höhere (=wirksame) Dosen werden schlecht vertragen, da ein Teil des Neomycins aus dem Darm in den Körper der Taube gelangt und die Nieren schädigt. Wird Neomycin unter die Haut gespritzt, führt es in den meisten Fällen zum Absterben der über dem Stich gelegenen Hautpartie. In den Muskel gespritzt führt Neomycin zu Muskelnekrosen (Absterben von Muskelzellen), die allerdings nicht immer genügend Zeit haben, sich zu bilden, weil Neomycin in den Muskel gespritzt bei der Taube in kurzer Zeit zum Nierenversagen und folglich zum Tod der Taube führt.
Aufgrund des nierenschädigenden Potentials auch beim Menschen wird Neomycin auch in der Humanmedizin so gut wie nur als Wundpuder sowie in Augentropfen und Wundsalben verwendet. Lediglich wenn ein Krankheitserreger gegen alle übrigen Antibiotika resistent geworden ist, wird Neomycin in Tablettenform eingesetzt. Auf dem gesamten Arzneimittelmarkt gibt es aber lediglich 4 Neomycinpräparate für diesen Zweck. Die übrigen (einige tausend!) sind zur äußerlichen Anwendung gedacht.

Ad 2) Succinylsulfathiazol
Hierbei handelt es sich um ein etwas „verstaubtes“ Antibiotikum, um eines der ersten Antibiotika überhaupt. Da es schon sehr lange existiert, ist die Wirksamkeit dementsprechend keine medizinische Frage mehr, sondern eine Frage des Glückes — die meisten Bakterien sind resistent dagegen.
In der Veterinärmedizin wird Succinylsulfathiazol bei der Bekämpfung einiger Bakterienarten eingesetzt, wobei aber schon 1997 55% der getesteten Bakterien gegen Succinylsulfathiazol resistent gewesen sind – vermutlich hat sich in den folgenden Jahren die Lage nicht gerade gebessert. Bei Escherichia coli liegt die Resistenzrate noch höher (ca. 80%). Gegen Kokzidien wurde Succinylsulfathiazol bis in die 80er Jahre eingesetzt. Da es jedoch die Kokzidien nicht abtötet, sondern nur schwächt und die Behandlung nach einem bestimmten Schema (mit mehreren Unterbrechungen) durchgeführt werden muß, ist Succinylsulfathiazol bald nach der Einführung modernerer Kokzidienmittel wieder in Vergessenheit geraten. Das Nebenwirkungspotential ist für ein Arzneimittel gegen Kokzidien zu hoch (die Schäden durch die Verabreichung sind bei Tauben höher als die von den Kokzidien verursachten Probleme), auch hier ist die Gefahr der Entstehung von Resistenzen und der Vermehrung von Soorpilzen sehr groß. Succinylsulfathiazol ist folglich ein Kokzidienmittel aus den Anfängen der Kokzidienbekämpfungszeit, das heute niemand mehr hierfür einsetzt (abgesehen von einigen ewig gestrigen, die gibt es ja bekanntermaßen auch in der Medizin).

Ad 3) Atropinsulfat
In der Human- und Veterinärmedizin wird Atropin häufig verwendet. Um das gesamte Wirkungspotential zu besprechen, reichen die Kapazitäten des Forums sicherlich nicht aus. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Wirkung auf den Darm. Atropin setzt die Bewegungen des Darmes herab, was den Weitertransport des Kotes verlangsamt (die Taube „muß“ dann nicht so oft). Natürlich wird der Durchfall damit „verlangsamt“ – einfach weil der Kot langsamer durch den Darm transportiert wird. Eine eher „kosmetische“ Durchfallbehandlung, nach dem Motto: wenn der Kot im Darm bleibt, hat das Tier keinen Durchfall. Vergleichen läßt sich diese Methode der „Durchfallbehandlung“ mit der Geschichte vom Strauß, der seinen Kopf in den Sand steckt, um nicht gesehen zu werden.
Richtig ist allerdings, daß Atropin den Durchfall beeinflußt. Für die „Behandlung“ des Durchfalls eignet sich Atropin jedoch nur beim Säuger und beim Menschen. Man will damit vermeiden, daß der Körper zu viel Flüssigkeit und Elektrolyte verliert, bis die gezielte Antibiotikabehandlung greifen kann. Bei allen Vögeln führt Atropin jedoch zu einer starken Sekretbildung in den Atemwegen, mit der Gefahr der Erstickung. Aus diesem Grund wird Atropin in der Vogelmedizin auch nicht zur Narkosevorbereitung eingesetzt – wie das beispielsweise beim Hund oder Katze der Fall ist.

Es würde nicht sehr viel bringen, die übrigen Bestandteile zu zerpflücken. Aus Zeitgründen belasse ich es dabei, in der Hoffnung, damit Ihre Frage beantwortet zu haben.

Zusammenfassend — und aus der Sicht des Vogeltierarztes — läßt sich behaupten: ein größeres Fettnäpfchen konnte der Kollege kaum finden! Ich kenne den Kollegen zwar nicht, er ist aber mit Sicherheit kein Fachtierarzt für Vogelkrankheiten.

Tiberius Mohr

Mime
05.08.2001, 18:07
Herzlichen Dank für die ausführliche Antwort. Als medizinischer Laie fragt man sich jedoch, wem man überhaupt noch glauben schenken darf, wenn selbst unter Veterinären derartig grosse Meinungsunterschiede herrschen. Es kann doch nicht sein, daß es über die Wirkung eines Medikamentes derartige Meinungsdiskrepanzen gibt.

Berger OVATOR
06.08.2001, 15:41
Guten Tag Sportsfreunde,

mir stellt sich die Frage, wer redigiert in den als Fachzeitschriften anerkannten "Blättern" die Beiträge der einzelnen Autoren?
Oder wird kritiklos alles was geschrieben wird veröffentlicht?
Offensichtlich kann in manchen Fachzeitschriften heutzutage "Alles" geschrieben werden.
Schade, denn darunter haben zumeist die Tiere zu leiden!

mit freundlichen Züchtergrüßen
A. Berger

Tiberius Mohr, Tierarzt
08.08.2001, 22:59
>Herzlichen Dank für die ausführliche Antwort.
>Als medizinischer Laie fragt man
>sich jedoch, wem man überhaupt
>noch glauben schenken darf, wenn
>selbst unter Veterinären derartig grosse
>Meinungsunterschiede herrschen. Es kann doch
>nicht sein, daß es über
>die Wirkung eines Medikamentes derartige
>Meinungsdiskrepanzen gibt.



Grundsätzlich sollte man nur jemandem Glauben, der die fachliche Qualifikation für das entsprechende Fachgebiet hat. Wie es in der Humanmedizin auch keine Alleskönner gibt, so gibt es in der Veterinärmedizin auch nicht „den Tierarzt“ sondern nur den Großtier-Tierarzt, den Fachtierarzt für Chirurgie, den Tauben-Tierarzt u.s.w. Und genau so wie in der Humanmedizin gilt auch für die Veterinärmedizin: wenn man nicht „bei seinen Leisten“ bleibt, geht es meistens schief.
So wie man selbst mit Ohrenschmerzen nicht zum Urologen geht, sollte man seine kranken Tauben auch nur einem Tierarzt anvertrauen, der darauf spezialisiert ist. Wenn jeder das so könnte, der er es gerne möchte, dann wäre die langjährige Spezialisierung doch ziemlich unnötig – keiner würde sich noch spezialisieren, wenn es auch ohne ginge. Es geht aber eben nicht, dafür sind das Gebiet zu umfangreich und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Tierarten zu groß.
In der Humanmedizin würde es kein Zahnarzt wagen, eine Prostataoperation durchzuführen oder einen Schrittmacher zu legen – allein schon wegen der hohen Regreßforderungen, die auf ihn zukommen würden, wenn es dann doch nicht so ausgeht wie geplant. In der Veterinärmedizin kann man es machen, es ist ja „nur“ eine Taube...
Es scheint sich auch kein Tierarzt darüber aufgeregt zu haben, daß der Kollege mit seinem Beitrag doch etwas daneben lag. Stellen Sie sich mal vor, ein Augenarzt hätte in einem Fachblatt der Zahnärzte irgend eine zahnärztliche Abhandlung veröffentlicht: erstens wäre sein Artikel vermutlich erst gar nicht angenommen worden, und wenn doch, dann hätten ihm sowohl die Zahnärzte als auch die eigenen Kollegen ganz schnell die Meinung gesagt. Anscheinend bleibt so etwas nur in der Vogelmedizin ohne Folgen (vermutlich weil es zu wenige gibt, die wirklich etwas davon verstehen). Man wird aber als Vogelspezialist durch solche Veröffentlichungen regelrecht in die Situation gedrängt, sich gegenüber den Taubenzüchtern für sein Vorgehen bzw. seine Ablehnung eines bestimmten Verfahrens oder Arzneimittels rechtfertigen zu müssen. Schließlich wurden durch den Beitrag Hoffnungen geweckt, die aber in der Realität mit lauteren Methoden nicht zu erfüllen sind. In Taubenzüchterkreisen — wo viele nur nach Preisen lechzen — greift man zu schnell nach jedem Strohhalm. Ich bekomme langsam den Eindruck, daß der Taubensport gar keine Tauben-Ärzte braucht, sondern Wundermittelverkäufer. Jeder, der einen Geheimtip hat — oder glaubhaft den Eindruck erwecken kann, einen zu besitzen — steht bei Taubenzüchtern hoch im Kurs und hat finanziell ausgesorgt. Je ausgefallener die Methode, desto mehr Züchter fallen darauf herein. Man bemüht sich als Taubentierarzt, ordentliche Medizin zu betreiben, und ständig funken einem Wundermittelverkäufer, Humanmediziner, Taubenfotografen, pensionierte Lehrer und Dorftierärzte dazwischen. Das ist auf Dauer doch etwas anstrengend. Kein Wunder, daß viele bereits das Handtuch geworfen haben. Erst vor einigen Wochen sagte mir ein Kollege (ein guter Vogeltierarzt) aus NRW, daß er es ablehnt, Brieftauben zu behandeln, weil er genug davon hat, sich mit den „Eigentümlichkeiten“ der Taubenzüchter herumzuschlagen. Er hat dafür natürlich ein anderes Wort gebraucht... In gewisser Hinsicht kann ich seine Haltung verstehen. Mein „Vorteil“ ist, daß ich Taubenzüchter gewesen bin, lange bevor ich Taubentierarzt wurde, und die meisten „Eigenarten“ fallen mir schon gar nicht mehr auf.

Die Kritik ist natürlich nicht gegen Sie gerichtet, Sie haben eine Frage gestellt und berechtigter Weise Ihre Verwunderung zum Ausdruck gebracht – bei so unterschiedlichen Meinungen kann ja schließlich nur einer von uns Recht haben. Ich habe lediglich Ihre Frage zum Anlaß genommen, meine Beobachtungen los zu werden.
Im konkreten Fall gibt es über die Wirksamkeit von Floracid-Doser eigentlich keine Meinungsdiskrepanzen: das Präparat wirkt gut gegen Durchfall. Tatsache ist aber, daß aufgrund der angesprochenen Besonderheiten das Präparat für die Anwendung bei Tauben nicht geeignet ist – man darf eben nicht von einer Tierart auf die andere schließen, und schon gar nicht vom Säugetier auf den Vogel (oder umgekehrt). Sicherlich steht in erster Linie die Wirkung bezogen auf das bestimmte Leiden – in diesem Fall der Durchfall. Und damit hat der Kollege Recht. Man verabreicht aber ein bestimmtes Mittel einem lebenden Wesen. Und dieses Lebewesen muß mit den Folgen der Medikation leben – bloß weil der Durchfall gestoppt wurde und die Taube in diesem Moment keinerlei Symptome einer Arzneimittel-Unverträglichkeit zeigt, ist das Mittel noch lange kein „Wundermittel“: erstens ist der Durchfall nur Symptom und nicht Erkrankung, und durch Unterdrücken der Symptome ist noch lange nicht die Krankheit geheilt. Und zweitens gibt es eine Menge Folgen einer falschen Medikation (eigentlich die meisten), die nicht sofort und nicht ohne Untersuchungen sichtbar werden, trotzdem aber vorhanden sind.
Wenn durch die Behandlungsmaßnahme zwar die sichtbaren Anzeichen des ursprünglichen Leidens beseitigt wurde, dadurch aber andere schwerwiegende Leiden verursacht werden, dann ist nach meinem Verständnis das Mittel dafür nicht geeignet. Als Arzt hat man schließlich jahrelang studiert und sich spezialisiert, nicht nur um Krankheiten heilen zu können, sondern auch um durch sein Handeln kein weiteres und vermeidbares Leiden zu verursachen. Zumindest sehe ich das so...

Tiberius Mohr

Mime
09.08.2001, 14:01
Leider, leider sind ja Vogeltierärzte dünn gesät, so daß es nicht immer ganz leicht ist, da einen entsprechend qualifizierten Veterinär zu finden.
Gerade weil es im Taubensport ja "in" ist nach irgendwelchen Wundermitteln zu suchen, habe ich auch die Frage nach Floracid Doser gestellt. Mal ist es diese, mal jenes Medikament, was gegen alle möglichen Krankheiten und Beschwerden helfen soll. (Ich könnte gerade bezüglich der Jungtaubenkrankheit ja noch auf den nahezu exzessiven Gebrauch von 4 in 1 von de Weerd in Züchterkreisen hinweisen).
Was wirklich erschreckend ist, daß in sogenannten Fachzeitschriften, wie auch Sportfreund Berger schon bemerkte, so etwas immer vollkommen unkritisch publiziert wird. Da fragt man sich schon, inwieweit die Herausgeber dieser Zeitschriften auch selber Fachleute sind.