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View Full Version : Tee als Antibiotikaersatz?


Michael B.
23.11.2001, 13:25
Guten Flug Sportfreunde

Im letzten Taubenmarkt berichtete Herr Töllner über die antibiotische und antiparasitäre Wirkung bestimmter Teegemische (Bartflechte, Ringelblume, Mädesüß, Weidenrinde etc.) und deren Möglichkeiten zur Unterstüzung der Heilung von Taubenkrankheiten. Bei meinen Recherechen im Internet über die Wirkung von diesen Naturheilmitteln fand ich nur Quellen die die Wirkung bei Menschen betreffen. Sind auch schon Studien bei Brieftauben bei euch bekannt?

Mit sportlichem Gruss
Michael B.

Tiberius Mohr, Tierarzt
02.12.2001, 20:36
Die bakterienhemmende Wirkung mancher Heilkräuter ist bekannt und bei einigen Extrakten aus diesen Pflanzen auch wissenschaftlich belegt (allerdings nicht bei Tauben). Jedoch ist auch beim Menschen von der nachgewiesenen Wirksamkeit bis zu einer Behandlung ANSTELLE eines Antibiotikums ein langer Weg (der vor allem von denen propagiert wird, die keine Arzneimittel verkaufen dürfen...).

Allen Naturheilmitteln gemein ist eine sehr niedrige Wirkstoffkonzentration, die in der Regel für die Bekämpfung von Bakterien (die zum Teil sogar gegen die viel stärker wirksamen Antibiotika unempfindlich geworden sind) nicht ausreicht. Kombinationen mit Antibiotika sind jedoch in bestimmten Fällen möglich und können gelegentlich die Genesung beschleunigen. Um mich konkret über die Wirksamkeit, die möglichen Einsatzgebiete, Kombinationsmöglichkeiten zu äußern brauche ich den Namen dieses „Arzneimittels“ (am besten den Wirkstoff).

Der große Vorteil der Antibiotika „aus der“ Dose ist die gesicherte Wirksamkeit und die Tatsache, daß man genau weiß, wieviel davon über welchen Zeitraum verabreicht werden muß, um einen bestimmten Krankheitserreger abzutöten. Bezogen auf Tees ist eine ähnliche Aussage nicht möglich. Auch wenn antibakteriell wirksame Substanzen darin enthalten sind, schwankt deren Gehalt sehr stark von Charge zu Charge – zum Beispiel in Abhängigkeit vom Erntezeitpunkt, den Erntebedingungen, der Bearbeitung, Lagerung und Verabreichung. Von der niedrigen Wirkstoffkonzentration ganz zu schweigen, die es oft unmöglich macht, durch den Heiltee einen ausreichend hohen Wirkstoffspiegel im Körper aufzubauen — man kann nicht unbegrenzt viel Tee trinken...

Als unterstützende Maßnahme kann man Tees also einsetzen wenn Antibiotika erforderlich sind, aber nie als AntibiotikaERSATZ! Das Gute bei Pflanzenextrakten ist, daß aufgrund der geringen Wirkstoffkonzentration z.B. im Tee der Wirkstoff nicht überdosiert werden kann – dafür müßte eine Taube 20-30 Liter Wasser pro Tag aufnehmen. Das dürfte nicht oft der Fall sein. Nichts desto trotz sollte man sich vor einer unterstützenden Behandlung (also ZUSÄTZLICH) zu einem Antibiotikum vergewissern, daß die im Tee eventuell vorhandenen Wirkstoffe sich mit dem gleichzeitig verabreichten Antibiotikum nicht „beißen“. Unterstellt man im Tee einen wirksamen Bestandteil – wofür oder wogegen auch immer – dann ist die Möglichkeit einer Unverträglichkeit mit einem Antibiotikum gegeben. So wie man beispielsweise Chloramphenicol nicht mit Enrofloxacin (Baytril) mischen darf (hier heben sich die antibiotischen Wirkungen gegenseitig auf), kann man auch nicht jeden (wirksamen!) Tee mit jedem Antibiotikum kombinieren.

Auch beim Einsatz von Pflanzenextrakten gilt: nur behandeln wenn eine Behandlung erforderlich ist. Vorbeugende Behandlungen gegen Bakterien sind weder mit Antibiotika, noch mit Tees oder anderen Pflanzenextrakten möglich – egal wie „natürlich“ diese Extrakte sind, und egal wie „wohltuend“ deren „milde Wirkung“ (was das auch immer sein mag!) gepriesen wird. Es spielt auch keine Rolle, was die Chinesen der Ming-Dynastie über die Wirkung eines bestimmten Tees behauptet haben: hic Rhodos, hic salta. Wenn die Taube keinen Krankheitserreger beherbergt, der mit dem Wirkstoff aus der Kamille angegriffen werden kann, dann braucht die Taube auch keinen Kamillentee zu trinken! Wozu auch? Nur weil der Kamillentee natürlich ist? Auch mit dem natürlichsten Stoff kann nicht etwas bekämpft werden, was gar nicht vorhanden ist (abgesehen davon, daß viele Antibiotika nicht „unnatürlicher“ sind als Tees, weil es sich nämlich auch nur um Extrakte aus Pflanzen handelt, allerdings ist hier der Wirkstoffgehalt bekannt und wird in allen Chargen konstant gehalten).

Bakterien können nicht im Voraus behandelt werden! Teeverkäufer erwecken in ihren verkaufsfördernden Veröffentlichungen (denn die ganzseitigen Artikel in verschiedenen Taubenzeitungen sind eigentlich als wissenschaftlicher Beitrag getarnte Verkaufsanzeigen) nämlich den Eindruck, daß die Tauben an so gut wie nichts mehr erkranken können und vor den meisten Krankheitserregern geschützt sind, wenn bestimmte Tees regelmäßig verabreicht würden. Zufällig hat der Autor dieser Veröffentlichung gerade diese Sorte Tee in großen Mengen auf Lager – aber das ist eine andere Geschichte, die sich jeder Leser selbst zu Ende erzählen kann...

Die vorbeugende Wirkung – zumindest bezogen auf die antibakterielle Wirkung – ist schlicht gelogen – oft sogar trotz besseren Wissens!

Tiberius Mohr

Michael B.
07.12.2001, 14:20
Vielen Dank für die ausführliche Antwort.
Auf ihre Nachfrage nach den "Arzneimitteln": Die Heilpflanzen heißen Bartflechte, Ringelblume, Mädesüß und Weidenrinde, hatte ich aber schon erwähnt.

Mit sportlichem Gruss
Michael Bertelsbeck