PDA

View Full Version : Jungtaubenverluste


liebelein
04.09.2002, 00:48
Ich hatte dieses Jahr folgendes Phänomen bei meinen Jungtauben:
aufgrund nachbarschaftlicher Probleme (mein fast 90-jähriger Nachbar wirft mit Steinen nach meinen Tauben und richtet den Wasserschlauch auf die Tiere. Daraus ergab sich für mich folgendes Problem, Junge nur in meiner Gegenwart fliegen lassen oder Attacken zulassen. Ich entschied mich fürs Aufpassen, mit dem Resultat, dass meine Jungen sich nicht ohne "meine Hilfe" vom Dach bewegten.
Da flugunlustige Jungtauben nicht trainiert werden können, suchte ich mit Jungen und Kot einen Tierarzt auf, der starken Hexamiten- und Trichomonadenbefall und Coli sowie Staphylokokken bei den Untersuchungen (Kot, Ab- und Ausstrich)festgestellt hat.
Meine Tiere habe ich entsprechend mit Metroronidazol sowie anschließend mit Ampicillin gemäß Verordnung behandelt. Nach der 10-tägigen Kur stieg zwar die Fluglust, doch es war keine Ausdauer zu erkennen, d.h. nach ca. 30 Minuten waren die Babies wieder auf`m Dach.
Ich suchte ca. 4 Wochen später wieder den Arzt auf, mit dem gleichen für mich erschütternden Resultat ==> gleiche Krankheitserreger! Die Behandlungen wurden zwangsweise wiederholt! Meine Jungen wurden in den ersten Wochen nach dem Absetzen nicht gesäubert, um das eigene Immunsystem zu unterstützen. Nach ca. 6 Wochen habe ich den Schlag jeden Tag gesäubert. Nach der ersten Behandlung achtete ich noch mehr auf meine Jungen, damit Sie nicht mit Boden oder verseuchten Dachrinnen in Kontakt kamen.
Dann kamen die ersten Flüge, von 2 Flügen über ca. 5 km verlor ich von ca. 72 keine! (Witwer waren in Körben verteilt). Dann kam der erste RV-Vorflug für mich über 55 km, hier verlor ich nach erfolgter Kur 20 Junge. Den letzten Vorflug paßte ich, da ich beim Tierarzt war mit o.a. Befund. Daher setze ich erst zur 2. Preistour 150 km ein und ich verlor wieder 20 Junge. Ich änderte die Belüftung im Schlag und entschloss mich als letzten Versuch auch die dritte Tour über 170 km zu setzen, hier verlor ich wieder 13! Zwischendurch habe ich im Umkreis von ca. 50 km bei Privatleuten und Züchtern gemeldete Junge eingesammelt.
Ich hatte die Schnauze voll und liess ein Tier töten um es in einem staatlichen Institut untersuchen zu lassen.
Folgendes Ergebnis:
Lunge: hochgradige Hyperämie (Blutüberfüllung)
Leber: gestaut
Digestionsapparat: Darminhalt dünnbreiig, Darmschleimhaut diffus hyperämisch und segmental ödematitisiert, segmental geringgradige katarrhalische Enteritits (abschnittsweise Gewebewassersucht, Darmentzündung
Kardiovaskuläres System: Herz:biventrikuläre Dilatation (ausgeleierte Muskelbildung);
herdförmige Myokarddegeneration (Kreislaufstörungen mit Beteiligung des Herzmuskels;
herdförmige endzündliche Infiltration Myokarditis (rote Blutkörperchen sind durchlöchert in Verbindung mit nicht eitriger Herzmuskelentzündung).
Bakteriologisch: Escherichia coli, Steptococcus sp. coliforme Keime in ausgegeprägter Mischkultur.
Parasitär: Columbicula sp.
Die Medikamente haben einen negativen Einluß auf das Herz gehabt, lt. Untersuchungsbericht.
Nun bin ich ratlos wo meine "Flugfaulen" diese Krankheiten gesammelt haben und ob es eine Behandlungsmöglichkeit mit Erfolgsaussichten gibt und ob ich meine dann hoffentlich gesunden Tauben als Jährige setzen kann.
Im vergangengen Jahr habe ich mit einem neuen Schlag wieder mit dem Brieftaubensport begonnen und auch einige Junge (ca. 20 von 70) verloren, aber mehr am Haus, da sie wegen meines Nachbarn erst nach 18.30 Uhr rauslassen konnte.
Gibt es hier evtl. einen Zusammenhang oder hat jemand in dieser Hinsicht Erfahrungen gemacht?
Ich möchte aber auch betonen, dass ich nach wie vor sehr grosses Vertrauen zu meinem Tierarzt habe!

mit hoffnungsvollen Sportsgrüßen

liebelein

TM
17.09.2002, 23:34
Ihr Bericht war sehr aufschlussreich, ich habe ihn mit großem Interesse gele-sen, vor allem den Bericht des Instituts. Die Angaben sind so detailliert, dass ich die erkrankten Tiere regelrecht „sehen“ konnte.
Ein Teil der Befunde, die anlässlich der Sektion erhoben wurden, können den nachgewiesenen Erregern zugeschrieben werden, einige Befunde sind sogar sehr typisch. Ein kleiner Teil der Befunde kann nicht mit den Erregern in Ver-bindung gebracht werden. Hierfür sind entweder ein lang anhaltender schlechter gesundheitlicher Zustand oder die „nicht ganz saubere“ Behand-lung die Ursache – dazu aber später.


>>> Nun bin ich ratlos wo meine "Flugfaulen" diese Krankheiten gesammelt haben…

Wo sich Ihre Tauben diese Krankheitserreger geholt haben, wird sicherlich nicht mehr nachzuvollziehen sein. Trotzdem sollten Sie zusammen mit Ihrem Tierarzt versuchen, diese „Gefahrenquellen“ ausfindig zu machen, um recht-zeitig vor Beginn der Saison entsprechende Vorsorgemaßnahmen treffen zu können. Da eine der „Gefahrenquellen“ das Transportauto ist, wird Sie ihr Tierarzt auch anhand seiner Befunde von anderen aus der Transportgemein-schaft richtig beraten können und Ihnen die passenden Vorsorgebehandlungen empfehlen.


>>> … ob es eine Behandlungsmöglichkeit mit Erfolgsaussichten gibt und ob ich meine dann hoffentlich gesunden Tauben als Jährige setzen kann.

Für bei Teile der Frage lautet die Antwort JA.
Anhand der sehr gewissenhaft durchgeführten Untersuchungen und den ge-nauen Befunden dürfte es kein Problem sein, die Tauben zu behandeln und den Bestand innerhalb weniger Wochen komplett zu sanieren.


>>> Gibt es hier evtl. einen Zusammenhang oder hat jemand in dieser Hin-sicht Erfahrungen gemacht?

Es ist mir nicht ganz klar, worauf Sie den Zusammenhang beziehen. Mit dem rabiaten Opa haben die Erreger nichts zu tun. Zum Teil hat sein etwas wüste Verhalten dafür gesorgt, dass die Jungtauben nicht übermäßig in der Umge-bung des Schlages herumpicken und sich dadurch beispielsweise mit Hexami-ten auch nicht anstecken konnten. In diesem Fall bleibt als Hexamitenquelle nur der Zuchtschlag übrig, nach dem ersten Transport auch das Auto.
Bemerkung: Sie können zwar die Zuchttauben auf Hexamiten untersuchen lassen, behandeln sollten Sie aber auch bei negativem Befund. Ab einem ge-wissen Alter können bei Tauben nur sehr, sehr selten Hexamiten nachgewie-sen werden, auch wenn diese vorhanden und regelmäßig ausgeschieden wer-den. Wenn Sie wirklich wissen wollen, welche Zuchttauben Dauerausschei-der sind, um gezielt Maßnahmen ergreifen zu können, sollten Sie die Jung-tauben absetzen bevor diese die Zelle verlassen und alle Jungtauben sofort nach dem Absetzen auf Hexamiten untersuchen lassen. Es werden so nur die Jungtauben Hexamiteninfiziert sein, deren Eltern (zumindest ein Elternteil) Hexamitenträger und Dauerausscheider sind. Wenn Ihr Tierarzt nicht gerade um die Ecke wohnt, wird das schwer zu machen sein. In diesem Fall ist viel-leicht der Kauf eines Mikroskops das Richtige. Ihr Tierarzt wird Ihnen das Nö-tige beibringen.
Nebenbei bemerkt: wir bieten Züchtern, die sich auf dem Gebiet der Heimun-tersuchung betätigen möchten, die Möglichkeit, bei uns in der Praxis einen entsprechenden Kurs zu absolvieren (Einzelheiten dazu bei Bedarf).


Nun zu den verordneten Behandlungsmaßnahmen.
Mein Problem ist immer, wenn ich eine Behandlung bewerten möchte, dass ich als Informationsquelle nur die eine Aussage des Züchters habe. So kann es durchaus sein, dass mein Urteil negativ ausfällt, obwohl die Behandlung rich-tig war. In diesen Fällen hat der Züchter in seinem Bericht entweder eine „Kleinigkeit vergessen,“ oder sogar absichtlich ausgelassen, weil es ihm nicht erwähnenswert zu sein schien. Meine Bewertung bezieht sich also ausschließ-lich auf die Angaben aus dem Beitrag.

In Ihrem Fall sind mir einige Dinge aufgefallen, die so nicht richtig sind.
Zum einen wäre das die Hexamitenbehandlung. Mit einem Monopräparat auf Metronidazolbasis können heutzutage Hexamiten höchstens „gekitzelt“ wer-den, meistens nicht einmal das, weil die Tauben von der Hexamitenlösung – falls über das Trinkwasser angeboten –nur ungenügende Mengen aufnehmen (zu bitter).
Weiter zu beanstanden ist die Behandlung mit Ampicillin. Damit wurden – wenn überhaupt – nur die Staphylokokken abgetötet. Gegen Escherichia coli ist Ampicillin nicht ausreichend wirksam, und selbst wenn sich Ampicillin im Resistenztest als wirksam erweist, können Resistenzen ab dem 3.-4. Behand-lungstag entstehen. Escherichia coli ist bekanntlich ein Beta-laktamase-bildner. Mehr dazu in meinem Beitrag über Ampicillin, Amoxicillin und Clavulansäu-re.
Da Sie nicht erwähnt haben, um welche Staphylokokken es sich dabei gehan-delt hat, nehme ich an, dass kein differenzierender Nachweis durchgeführt wurde. Die ziemlich allgemeine Aussage „Staphylokokken“ ist noch lange kein Grund, eine Behandlung durchzuführen, weil Tauben regelmäßig für sie nicht schädliche Staphylokokken-Spezies auf den Schleimhäuten beherbergen.

Im großen und ganzen kann also gesagt werden: „das war wohl nichts“ - et-was lässig, trifft aber genau den Punkt.
Dazu passt auch Ihr Bericht: „Ich suchte ca. 4 Wochen später wieder den Arzt auf, mit dem gleichen für mich erschütternden Resultat ==> gleiche Krankheitserreger! Die Behandlungen wurden zwangsweise wieder-holt!“

TM