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View Full Version : Biestmilch


694
19.01.2003, 22:13
Hallo Sportfreunde,

in letzter Zeit hört man von immer mehr Züchtern, dass Sie ihren Tauben Biestmilch verabreichen. Ist das wirklich von Vorteil bzw.
welchen Effekt erziele ich damit? Ist die Milch nicht zu fetthaltig
für Tauben, d.h. wir der Kot nicht dünnflüssig davon? Wer kann mir antworten geben?

Gruß
694

TM
21.01.2003, 01:11
Bitte herumblättern im Archiv. Dieses Thema hat unlängst für einen erbitterten Gedankenaustausch gesorgt.

TM
31.01.2003, 23:30
Habe in meinem Archiv aus einem anderen Grund herumwühlen müssen und zufüllig des Kolostrum-Beitrag gefunden.

Hier der Beitrag:


Frage: Kolostrum

Guten Tag Herr Mohr,

in mehreren Fachbeiträgen habe ich über die positive Wirkung von Kolostrum bzw. der Biestmilch gelesen. In der letzten Zeit sind eine Reihe von "Mittel-chen" auf den Markt gekommen, die Substitute der Biestmilch sein sollen. Von der positiven Wirkung der Biestmilch bin ich überzeugt, da ich sie in selbsterstellten Kapseln heruntergekommenen Tieren verabreicht habe und diese eine erstaunlich positive Reaktion gezeigt haben (extrem herunterge-kommene Zuchttäubin sieht mittlerweile aus wie eine junge Täubin). Des weiteren habe ich die Biestmilch auch während der Reise eingesetzt und eine Steigerung der Flugleistung feststellen können (Reiseleistung 55%.).
Jedoch ist die reine Biestmilch (erste Milch, die den Kälbern vom Muttertier bekommt=> Abwehrstoffe gegen Krankheiten) recht teuer und als Student ist man immer auf der Suche nach billigeren, aber gleichwertigen Produkten.
Nun meine Frage:
Was halten Sie von der Biestmilch, insbesondere als Zugabe während der Rei-se?
Heißen Sie die Ersatzprodukte, die auf den Markt kommen für empfehlens-wert?
und können die Stoffe, welche in der Biestmilch enthalten sind überhaupt "künstlich" hergestellt werden?

Anm.: Es gibt ja auch gute Ersatzprodukte der Muttermilch für Babys

Vielen Dank für Ihre Bemühungen

Alex


Antwort

Die Verabreichung von Kolostrum-Präparaten an Brieftauben zur Stärkung des Immunsystems ist aus medizinischer Sicht einfach albern. Die darin enthalte-nen Immunglobuline (Antikörper) sind ausschließlich gegen Krankheitserreger der eigenen Tierart (in diesem Fall Rind) gerichtet und so hochspezifisch, daß sie nicht an andere Krankheitserreger "andocken" können. Außerdem können die Immunglobuline nur die Darmwand der Säugetiere passieren, und das auch nur in den ersten Stunden nach der Geburt. Bereits nach 4 Stunden ist die Aufnahmefähigkeit so stark herabgesetzt, daß auch beim Kalb das Ko-lostrum nicht mehr viel bewirken kann.
Bei der Taube werden die Immunglobuline aus dem Kolostrum im Darm ganz einfach verdaut. Würden Immunglobuline vom Rind — aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen — die Darmwand der Taube trotzdem passieren, würden sie vom Immunsystem der Taube als Fremdeiweiß erkannt (denn ge-nau das sind sie) und sofort zerstört.

Wenn man von den Immunglobulinen der Kuh absieht (die für die Taube oh-nehin keinen praktischen Nutzen haben) ist die Zusammensetzung von Ko-lostrum recht komplex. Diese Wirkstoffrezeptur kann man nur als natürliches Roborans bezeichnen, wobei die Zusammensetzung immer nur für das Jung-tier der eigenen Art optimal ist. Für das Kalb ist das Kolostrum die bestmög-lichste Wirkstoffquelle, die man sich denken kann.
Die Verabreichung an Tauben würde sicherlich viele Vorteile bringen, sofern eine Unterversorgung mit diesen Wirkstoffen vorliegt (wie vermutlich bei Ih-rer Zuchttäubin). Aber auch dann stehen der modernen Vogelmedizin Präpa-rate zur Verfügung, die eine ähnliche, jedoch auf Vögel bzw. Tauben abge-stimmte Zusammensetzung aufweisen. Wichtig ist nicht — wie die Kolostru-manhänger mit $-Zeichen in den Augen behaupten — daß die Liste der In-haltsstoffe möglichst lang ist, sondern daß die Menge und das Verhältnis ein-zelner Wirkstoffe zueinander auf die betreffende Tierart zugeschnitten ist — im Fall des Kolostrums trifft das NUR für das Kalb zu. Mengenmäßig sind ei-nige die Wirkstoffe aus Kolostrum für die Taube unterrepräsentiert, andere hingegen völlig unnötig. Das Verhältnis dieser Wirkstoffe zueinander ist an die Bedürfnisse des Kalbes in den ersten Lebensstunden angepaßt.
Ebenfalls unwichtig ist, wie „einfallsreich“ die Natur bei der „Erfindung“ von Kolostrum gewesen ist (stand als „Gütesiegel“ kürzlich in einer als Fachbeitrag getarnter Verkaufsanzeige), sowie die Wirkung von Kolostrum beim Kalb (o-der sonst wo). Wichtig ist einzig und allein die Wirkung bei der Taube. Wenn man diese jedoch sachlich auseinanderpflückt, bleibt vom ganzen „Einfalls-reichtum“ der Natur nicht mehr viel übrig: die Natur hat eben das Kolostrum nicht für Tauben vorgesehen — und daran werden auch keine in Heimarbeit zu Ernährungsphysiologen „ausgebildeten“ Futtermittelhändler etwas ändern können.

Die Menge, die man den Tauben (angeblich) verabreichen soll, ist — bezogen auf die meisten Wirkstoffe — unterdosiert. Würde man die Menge erhöhen und dem tatsächlichen Bedarf der Taube in der Reisesaison anpassen, würde das Präparat zu gewaltigen Darmstörungen (und Löchern in der Haushaltskas-se) führen. Die Erklärung für die Darmstörungen ist recht einfach (für die Lö-cher in der Haushaltskasse auch!): einige Stoffe gelangen unverdaut in den Dickdarm, wo sie nichts zu suchen haben. Im Dickdarm vermehren sich Bak-terien, die diese Stoffe als Nahrungsquelle nutzen können — und die im Dickdarm ebenfalls nichts zu suchen haben. Die Folge sind Gärungen und ei-ne starke „Ablenkung“ des Immunsystems, das seine Aufgaben an anderer Stelle nicht mehr optimal erfüllen kann.
Der Vollständigkeit halber soll nicht unerwähnt bleiben, daß es zwar auch „Kolostrum-Präparate“ gibt, die von einigen störenden Stoffen befreit wurden. Es handelt sich dabei um mehr oder weniger stark „vergewaltigtes“ Ko-lostrum, aus dem — mit für die Erhaltung der Wirksamkeit mehr oder weni-ger bedenklichen Methoden — die Substanzen herausgefiltert wurden, die man woanders viel billiger bekommen kann. Diese Präparate haben in etwa so viel mit Kolostrum und seinen Wirkungen (für das Kalb!) gemeinsam, wie der Weinessig mit den an seinem Ursprung stehenden Trauben. Das Verkaufsar-gument (für den Wucher-Preis) ist „der natürliche Ursprung aus reinem Ko-lostrum“ — naja, „rein“ war das Kolostrum irgendwann schon... Wenn ich Lust auf Trauben habe kaufe ich mir aber keinen Weinessig.

Ihre erste Frage (Was halten Sie von der Biestmilch, insbesondere als Zugabe während der Reise?) dürfte damit beantwortet sein: gut für Kälber, schlecht und teuer für Tauben.
„Kolostrum-Extrakte“ entpuppen sich bei näherer Betrachtung als überteuerte Wirkstoffpräparate. Obwohl die Verabreichung bei Tauben vorteilhaft sein kann, sollte man sich immer vor Augen halten, daß diese Mittel NICHT die Wirkungen besitzen, die das Kolostrum bei Neugeborenen der eigenen Art entfaltet. Es sind keine Wundermittel sondern einfache Wirkstoffpräparate, die aus der Verschandelung von Kolostrum entstanden sind und bei denen der Käufer für den Produktionsaufwand finanziell aufkommen muß. Diese Präpa-rate haben nicht einmal mehr bei den Neugeborenen der eigenen Tierart die Eigenschaften von Kolostrum!

Zusatzprodukte-Gurus umgeben sich mit einem prophetenhaften Schleier, ü-berfluten die Taubenpresse mit sog. „Fachartikeln“ über Kolostrum und füllen ganze Internet-Seiten mit belanglosen Halbwahrheiten. Dabei sind sie offen-sichtlich ausschließlich hinter dem Geld der Taubenzüchter her. Mit auswen-dig gelernten und bis zum Erbrechen wiederholten Phrasen, deren Bedeutung sie selbst nicht immer richtig verstehen können, und durch gezielt platzierte (zum Teil falsch verwendete) Fachbegriffe ziehen sie von Vortrag zum Vortrag durchs Land — der Vergleich mit dem Rattenfänger aus Hameln drängt sich dabei förmlich auf!
Finden Sie einen Lieferanten für Schwarzkümmelöl, gibt es nichts besseres für Tauben als Schwarzkümmelöl — bis sie einen Lieferanten für Kolostrum fin-den. Dann führt plötzlich Kolostrum die Hitliste, bis irgend einer seine nächste „rote Suppe“ kocht. Die Taubenmessen verkommen immer mehr zu regel-rechten Kauforgien von unsinnigen Präparaten. Der „arme“ Taubenzüchter verliert komplett die Orientierung und kauft, kauft, kauft... — ob System da-hinter steckt?

Nun zu Ihrer zweiten Frage (Heißen Sie die Ersatzprodukte, die auf den Markt kommen für empfehlenswert?):
Ja. Für die Tierart für die sie hergestellt wurden ist ein Kolostrum-Ersatz bes-ser als gar kein Kolostrum, wobei zu bedenken ist, daß bei Ersatzpräparaten die immunologische Komponente ziemlich auf der Strecke bleibt. Einen voll-wertigen Kolostrum-Ersatz gibt es nicht, es gibt nur Präparate, die EINIGE Ei-genschaften von Kolostrum (mehr oder weniger gut) nachzuahmen versu-chen.
Bezogen auf Tauben heißt die Antwort NEIN.

Ihre dritte Frage (können die Stoffe, welche in der Biestmilch enthalten sind überhaupt "künstlich" hergestellt werden?) muß man etwas differenziert be-antworten.
Bezogen auf die Mehrheit der Inhaltsstoffe (Vitamine, Fette, Eiweiße, Spuren-elemente) lautet die Antwort JA, für Immunglobuline UNVOLLKOMMEN, für Leukozyten und andere immunaktive Stoffe NEIN. Es werden zwar Im-munglobuline beigemischt, die Zusammensetzung und die „Qualität“ entspre-chen jedoch nicht denen aus natürlichem Kolostrum. Es sind „Pauschal-Globuline“, die nicht exakt den Erfordernissen in dem Stall entsprechen, in dem sie eingesetzt werden. Auch diese „Pauschal-Globuline“ sind nur bei der Tierart wirksam (Säugetierart!) für die das Ersatzprodukt hergestellt wird (hier: Rind).
Die Herstellung eines dem Kolostrum der eigenen Mutter in jeder Hinsicht gleichwertigen Präparates ist bisher noch nicht gelungen.

Die ganze Geschichte mit den Ersatzprodukten ist ohnehin etwas paranoid: Aus dem Kolostrum der Kuh werden unter erheblichem Aufwand unsinnige Präparate für Tauben gemacht. Dabei muß das arme Kälbchen mit Ersatz-Kolostrum auskommen, das nicht alle seine Bedürfnisse abdeckt (ist damit a-ber immer noch besser dran als seine Mutter, die als Futter die getrockneten und gemahlenen Kadaver der Artgenossen vorgesetzt bekommt!). Aber das Thema entfernt sich immer mehr von den Zielen des Tauben-Medizinforums...

Zu Ihrer Anmerkung (Es gibt ja auch gute Ersatzprodukte der Muttermilch für Babys):
Diese Muttermilch-Ersatzprodukte sind nicht dem Kolostrum sondern der normalen Milch der Frau nachempfunden (mit sehr gutem Erfolg übrigens). Auch hier gilt das oben gesagte: kein Ersatzprodukt kann das Kolostrum der eigenen Mutter ersetzen!

Alle Versuche, die sog. Taubenmilch künstlich herzustellen, sind bisher kläg-lich gescheitert — ein Beweis für die außerordentlich komplexe und noch nicht im Detail entschlüsselte Zusammensetzung der Taubenmilch. Würde das gelingen, wäre eine Gabe dieses Produktes sicherlich sinnvoll.

TM