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View Full Version : Bandwürmer


Tiberius Mohr, Tierarzt
06.01.2001, 15:52
Vor einigen Tagen traf folgende Nachricht per eMail bei mir ein:

Hallo Herr Dr. Mohr,
leider gelingt es mir nicht, diese Frage in das medizinische Forum einzustellen, obwohl ich Namen und Paßwort angegeben habe. Aus diesem Grund auf diesem Wege:
Vor kurzem entdeckte ich bei einer Täubin ein 5 cm langes Stück eines Bandwurmes aus dem After ragen, der beim Versuch rauszuziehen natürlich abriß. Wie erfolgt hier eine Behandlung?
Leider habe ich über diese Thematik in einschlägiger Literatur nichts finden können.
Danke und Gruß
D. B.

Obwohl es sich dabei eher um ein medizinisches Randproblem des Brieftaubensportes handelt — was die von Herrn B. spärliche Wiederspiegelung in der Fachliteratur erklärt — könnte das Problem für die Forumteilnehmer doch von Interesse sein und einige (nichtgestellte) Fragen beantworten.

Hier meine Antwort:


Bandwürmer
Bandwürmer sind Endoparasiten und leben — wie Spulwürmer auch — im Darm ihrer Wirte. Im Laufe der Evolution haben die verschiedenen Bandwurmarten unterschiedliche Strategien entwickelt, um einer Austreibung mit dem Kot entgegenzuwirken. Einige verhaken sich mit einem gut ausgebildeten Hakenkranz in den Darmeigendrüsen, andere hingegen haften mit Saugnäpfen an der Darmschleimhaut. Beide Methoden sind so perfektioniert worden, daß der Bandwurm ein Leben lang im Darm verbleiben kann.
In beiden Fällen wird die Darmschleimhaut mechanisch gleichermaßen stark gereizt und verletzt, was Blutverlust (durch Dauer-Sickerblutungen an der Haftstelle) und Entzündungen im gesamten Darmabschnitt (also nicht nur an der Haftstelle) hervorruft.

Bei Tauben können mehrere Bandwurmarten vorkommen, die wichtigsten sind Raillietina micracantha und Raillietina bonini, Davainea proglottina, Amoebotaenia cuneata, Choanotaenia infundibulum und Hymenolepsis carioca. Bandwürmer aus der Familie der Dilepididae (Davainea-Arten) werden zwar auch gelegentlich nachgewiesen, sind jedoch die typischen Bandwürmer kleinerer Finkenvögel (Stiglitz, Zeisig, Kanarienvogel etc.). Der Name Davainea columbae suggeriert zwar eine enge Beziehung zur Taube, jedoch wird diese Bandwurmart — zumindest bei Brieftauben — nur selten nachgewiesen. Raillietina micracantha scheint bei Brieftauben die verbreitetste Bandwurmart in Deutschland und Westeuropa zu sein.

In ihrem Aufbau und ihrer Entwicklung unterscheiden sich Bandwürmer grundsätzlich von den Rundwürmern (zu denen auch die Spulwürmer gehören). Bandwürmer sind flach und bestehen aus drei Zonen: Kopf, Wachstumszone und Bandwurmgliedern. Die Glieder am Wurmende (die sog. Proglottiden) haben eine Eigenbewegung. Sie enthalten die Wurmeier.
Reife, wurmeigefüllte Proglottiden werden von Zeit zu Zeit abgestoßen, über den Kot des Tieres ausgeschieden und dann (wenn sie Glück haben“) von einem Zwischenwirt gefressen. „Beliebte“ Zwischenwirte sind — für den Hund- und Katzenbandwurm — Mäuse und Flöhe, für den Taubenbandwurm spielen Zwischenwirte wie Käfer, Fliegen, Regenwürmer, Tauwürmer und Schnecken eine weitaus bedeutende Rolle (schließlich werden Mäuse von Tauben „selten“ verschluckt und Flöhe kommen bei Brieftauben heutzutage nur vereinzelt selten vor).
Für ihre Entwicklung benötigen Bandwürmer immer einen Hauptwirt — in unserem Fall die Taube — und einen der genannten Zwischenwirte. Im Hauptwirt (Taube) lebt der eigentliche Bandwurm, während sich im Zwischenwirt das Finnenstadium (blasenförmige Bandwurmlarven) einnistet. Tauben können sich nur dann mit Bandwürmern anstecken, wenn sie die finnenhaltigen Zwischenwirte oder Teile davon fressen. Dann siedeln sich die in den Finnen enthaltenen Bandwurmlarven im Körper der Taube an, wachsen zu vollständigen Bandwürmern heran und beginnen mit der Eiproduktion.

Die Übertragung von Taube zu Taube entfällt, da eine Ansteckung ausschließlich über einen Zwischenwirt erfolgen kann — die Taube muß folglich einen der angesprochenen Zwischenwirte aufnehmen. Aus diesem Grund ist ein Bandwurmbefall selten ein Bestandsproblem, meistens ist es eine Erkrankung einzelner Tauben, die während einer Flugpause — meistens durch Herumpicken auf irgendwelchen Äckern — die Zwischenwirte aufgepickt haben. Sollten mehrere Tauben mit Bandwürmern infiziert sein, handelt es sich um ein schlaghygienisches Problem. In diesem Fall haben die Tauben regelmäßig (in der Umgebung des Schlages) Zugang zu den entsprechenden Zwischenwirten: das kann eine Wiese, der benachbarte Acker oder ein oft frequentierter Tümpel sein.

Die Diagnose eines Bandwurmbefalls kann sehr leicht anhand der ausgeschiedenen Proglottiden gestellt werden, die sich (zumindest einige Zeit nach dem Ausscheiden) raupenartig fortbewegen. Durch den mehr oder weniger stark aufgetriebenen Bauch kann lediglich ein Verdacht geäußert werden, der durch eine Röntgenuntersuchung erhärtet werden kann: hier wird ein stark entzündeter Darm mit geschwollenen Wänden festgestellt (was jedoch auch andere Ursachen haben kann).
Ein sicherer Nachweis ist nur durch eine parasitologische Untersuchung einer Kotprobe oder der Proglottiden selbstmöglich. Im Kloakenabstrich sind Proglottiden meist schlechter nachweisbar als in einer Kotprobe — der einzige Fall, in dem die FRISCHE Sammel-Kotprobe dem Kloakenabstrich vorgezogen werden sollte.

Durch die oft extreme Reizung der Darmwand ist die Verdauung gestört, der Wirkstoff- und Nährstoffnachschub ist nicht mehr gewährleistet. Dazu kommt noch der Verbrauch durch den Wurm selbst. Die Leistungsfähigkeit ist auch bei einem einzigen Bandwurm stark beeinträchtigt. Weitere Symptome fehlen meistens, zumal selten eine Taube mehr als einen einzigen Bandwurm beherbergt.
Durch eine wiederholte Ansteckung (das Problem ist hier die Schlagumgebung!) oder durch die Aufnahme mehrere Zwischenwirte (bzw. eines Zwischenwirtes mit mehreren Bandwurmfinnen) kann es im Darm zu Knäuelbildung kommen, bis hin zum Darmverschluß. Diesen Tauben merkt man aber schon vorher an, daß sie „nicht in Ordnung“ sind.

Als Behandlungsmaßnahme hat sich das einmalige Verabreichen eines Praziquantel-Präparates sehr gut bewährt. Eine Wiederholung entfällt, da sich die Bandwürmer in der Taube nicht vermehren können (man erinnere sich, die Taube kann sich nur durch die Aufnahme eines Zwischenwirtes anstecken).
Praziquantel-Präparate für Tauben gibt es nicht, dafür ist wohl der Markt zu klein. Man muß notgedrungen auf Arzneimittel für Hunde und Katzen zurückgreifen. Um Fehldosierungen zu vermeiden, werden wir an dieser Stelle — ausnahmsweise — eine Dosierungsempfehlung geben.


Dosierungsvorschläge:

Arzneimittel:
Praziquantel, Injektionslösung für Hunde und Katzen

Wirkstoffgehalt:
50 mg / ml

Dosierung:
0,1 - 0,15 ml / Taube (je nach Gewicht)

Applikation:
Injektion

Bemerkungen:
Tief in den Brustmuskel spritzen (nicht wie beim Hund und Katze unter die Haut!)

Arzneimittel:
Drontal plus, Tabletten für Hunde

Wirkstoffgehalt:
(u.a.) Praziquantel: 50 mg

Dosierung:
¼ Tabl. / Taube
(Diese leichte Überdosierung von Praziquantel wird von Tauben sehr gut vertragen)

Applikation:
Direkt in den Schnabel geben, mit eventuell mit 2-3 ml Trinkwasser nachspülen.

Bemerkungen:
Nicht zwischen dem 10. Bruttag und dem Absetzen der Jungtauben verabreichen!


Tiberius Mohr