Thema: Doping
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Alt 07.10.2000, 15:39
Tiberius Mohr, Tierarzt
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Standard RE: Doping

Amphetamine sind im Brieftaubensport die stärksten Dopingmittel überhaupt. Sie führen dazu, daß sämtliche lebenserhaltenden Bedürfnisse (Hunger, Durst, Müdigkeit, Schlafbedürfnis usw.) für 2-3 Tage ausgeschaltet, alle motorischen Eigenschaften im Höchstmaß gesteigert werden. Mit Amphetaminen gedopte Tauben legen während des Fluges keine Pausen ein und fliegen – auf Kosten ihrer Gesundheit – mit höchstmöglicher Geschwindigkeit. Hochflieger beispielsweise sind unter Amphetamin im Stande, bis zu 70 Stunden ohne Zwischenlandung ihre Runden zu drehen. Daß dies nicht gerade gesund ist, liegt auf der Hand. Viele dieser Tiere fliegen wort-wörtlich bis sie tot um- bzw. herunterfallen.

Aufgrund dieser Eigenschaften war der Amphetamin-Mißbrauch unter LKW-Fahrern und Langstreckenläufern in der Vergangenheit (in den 40er und 50er Jahren) sehr verbreitet. Wegen der sehr guten Nachweisbarkeit hat aber der Mißbrauch im Leistungssport sehr stark abgenommen. Gelegentlich werden noch Vorfälle aus der Studentenszene bekannt: hier wird vor allem die stimmungsaufhellende Wirkung geschätzt und die Fähigkeit, sich ohne Pause und ohne Schlaf mehrere Tage hindurch auf eine Prüfung vorzubereiten – nach der Prüfung landen viele mit Kreislaufversagen auf der Intensivstation.

Amphetamine sind die sicherste Methode, eine Taube zu ruinieren, aber leider auch, sie VORÜBERGEHEND erste Konkurse fliegen zu lassen – eine mit Amphetamin gedopte Taube hat einfach absolut keine Konkurrenz. Verglichen damit ist die Wirkung von Cortison, Anabolika und Clenbuterol nicht einmal erwähnenswert. Lediglich Cocain hat ein ähnliches Wirkungspotenzial, die Wirkdauer ist jedoch viel kürzer und die Steigerung motorischer Fähigkeiten nicht so stark ausgeprägt.

Der Amphetamin-Nachweis ist völlig unproblematisch — man muß nur danach suchen (wollen). Beim Menschen kann Amphetamin noch 48 Stunden nach der Einnahme im Harn nachgewiesen werden, bei der Taube dürfte der Zeitraum um einige Stunden kürzer sein, jedoch noch ausreichend, um nach einem Flug den Mißbrauch aufzudecken.

Das Suchtpotential der meisten Amphetamine ist erheblich, obwohl es sich dabei in erster Linie um eine psychische und weniger um eine körperliche Abhängigkeit handelt, was auch die hohe Selbstmordrate unter Entzug erklärt.
Aufgrund des Suchtpotentials unterliegen Amphetamine der Betäubungsmittelgesetzgebung und können — auch von dazu berechtigten Tierärzten — nur unter strengsten Auflagen bezogen und angewendet werden. Die Anwendung von Amphetaminen ist in Deutschland glücklicherweise dermaßen streng geregelt (Nachweispflicht der Anwendung, Aufbewahrungspflicht der Unterlagen für 3 Jahre, Vernichtung verfallener Präparate nur im Beisein von Zeugen etc.) und der Mißbrauch hat dermaßen drastische Folgen für den Tierarzt (MINDESTENS Verlust der tierärztlichen Approbation und Berufsverbot), daß sich wohl kaum ein Tierarzt zum Mißbrauch verleiten lassen wird. Wie die Sache in Holland geregelt ist, ist mir nicht bekannt, es dürfte aber ähnlich sein.

Erklärung:
Unter dem Begriff „Betäubungsmittel“ wird rechtlich eine Reihe sehr unterschiedlicher Arzneimittel zusammengefaßt, denen gemeinsam ist, daß sie beim Menschen zur Abhängigkeit (Sucht) führen. Daher sind „Betäubungsmittel“ nicht mit Narkosemitteln oder anderen zur Schmerzausschaltung verwendeten Arzneimitteln gleichzusetzen. Im Gegenteil: die meisten „Mittel zur Betäubung“ (Narkotika, Anästhetika) sind rechtlich gesehen keine Betäubungsmittel, weil sie keine Sucht erzeugen — eine für medizinische Laien etwas verwirrende Angelegenheit.

Aus leicht nachvollziehbaren Gründen werde ich im Forum die Angelegenheit nicht weiter vertiefen. Obwohl ich für eine offene Diskussion hinsichtlich der Dopingproblematik bin (und diese Diskussion auch für notwendig erachte), ist mir die Amphetamingeschichte doch etwas zu „heiß“, die Gefahr, detaillierte Informationen zu mißbrauchen ist einfach zu groß. Ich möchte nicht mitverantwortlich sein, wenn Tauben Amphetamine verabreicht werden.



An alle Forumteilnehmer

Sehr geehrte Forumteilnehmer,

bitte richten Sie zukünftige Doping-Fragen an mich persönlich (t.mohr@brieftaubenmedizin.de) und nicht mehr über das Forum. Es liegt in der Natur der Sache, daß auch eine Fachinformation mißbraucht werden kann und zum Forum hat jeder und unerkannt Zugang. Ich möchte aber gerne wissen, wer welche Informationen erhalten hat, um besser einschätzen zu können, ob meine Angaben mißbraucht werden können, bzw. um zu vermeiden, daß ein einzelner Züchter zu „umfassend“ informiert wird.


Mit freundlichen Grüßen

Tiberius Mohr

t.mohr@brieftaubenmedizin.de
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