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Alt 14.10.2000, 20:12
Tiberius Mohr, Tierarzt
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Standard RE: Blutgeschwülste

Das Auftreten im Herbst ist für Taubenpocken sehr typisch – Taubenpocken treten so gut wie ausschließlich im Sommer und Herbst auf. Lediglich die sog. Schleimhautform (rötliche Herde im Rachen, die im späteren Verlauf ins gelbliche übergehen und Trichomonadenbelägen sehr ähneln) kommt auch im Frühjahr, in der Zeit der ersten gemeinsamen Trainingsflüge vor.

Für das Auftreten trotz Impfung kommen zwei Ursachengruppen in Frage:

1) unzureichender Impfschutz. Dieser kann bedingt sein durch:
- Bluten der Federkiele (falls diese Impfmethode angewendet wurde), das Pockenvirus wird so aus der Eintrittspforte wieder herausgespült bzw. es dringen nicht die für eine Immunisierung erforderlichen Virusmengen von 10hoch3 in das Gewebe ein.
- Impfung bereits mit Pockenviren infizierter Tauben. Äußerlich sichtbare Anzeichen können erst Wochen nach dem ersten Kontakt mit dem Virus auftreten bzw. werden übersehen, falls zunächst nur die Schleimhautform auftritt (es ist nicht anzunehmen, daß alle Jungtauben vor der Impfung einer eingehenden Schleimhautkontrolle unterzogen wurden). Sog. Notimpfungen — also wenn sich Pockenviren bereits im Bestand befinden — dürfen ausschließlich perkutan (NICHT durch Injektion) durchgeführt werden (alles andere ist nach heutiger Einschätzung als Kunstfehler zu werten).
- Impfung von Tauben mit geschwächtem Immunsystem
Impfung von Tauben mit noch nicht voll ausgereiftem Immunsystem. Jungtauben, die nicht MINDESTENS 5 Monate alt sind, bilden nach der Impfung nur bei nahezu 100%iger Antigengleichheit zwischen Impfstamm und Feldstamm einen ausreichenden Impfschutz gegen Pocken aus. Probleme treten bei Tauben immer dann auf, wenn JUNGTAUBEN nicht mit einem homologen Virusstamm geimpft werden.
- Impfung von Tauben, die zum Zeitpunkt der Impfung mit anderen Krankheitserregern (Kokzidien, Trichomonaden, Würmer etc.) infiziert sind.
- Impfung während oder unmittelbar nach eine Antibiotikakur oder einer Kortisonverabreichung.
- Unzureichende Impfdosis
- Impfstoff enthält nicht (Herstellungsfehler) bzw. nicht mehr (falsche Lagerung) die ausreichende Antigenkonzentration
- Impfung mehrerer Tauben mit einer einzigen Kanüle. Pockenviren haben die Fähigkeit, schnell zu rekombinieren. Aus diesem Grund gibt es bei der Pocken-Impfung mehrerer Tauben mit derselben Kanüle oft erhebliche Probleme (fehlender Impfschutz, Pockenerkrankungen etc.), nicht nur dann — wie bei anderen viralen Erkrankungen — wenn mehrere Virusstämme gleichzeitig im Bestand vorkommen.

2) unzureichende Antigenverwandschaft zwischen Impf- und Feldvirus:
Viele Pockenviren, die bei den Tauben vorkommen, sind bis heute noch nicht klassifiziert. Dementsprechend ist ihre Antigenstruktur noch unbekannt. Von den bereits klassifizierten Viren weiß man jedoch, daß zwischen den einzelnen Virusstämmen oft keine Antigenverwandschaft besteht (das ist auch der Grund, weswegen nicht jeder Impfstamm eine Immunität gegen jeden Feldstamm hervorruft). Ein Virusstamm (Feldstamm) mit einer Antigenstruktur, die von der des Impfvirus abweicht, wird vom Immunsystem der geimpften Taube nicht als Pockenvirus „erkannt“. Folglich bietet die Impfung keinen Infektionsschutz.

Das war lediglich eine kleine Auswahl von Möglichkeiten, das allgemeine Interesse dürfte damit befriedigt sein. Das Medizinforum soll den ZÜCHTER informieren und keine Fortbildungsplattform für Tierärzte werden — da Sie in den letzten Tagen in diesem Teil des Forums (in dem das Beantworten von Fragen Tierärzten vorbehalten ist) damit begonnen haben, ebenfalls Fragen der Züchter zu beantworten, darf ich annehmen, daß Sie Tierarzt sind.

Mit freundlichen Grüßen

Tiberius Mohr
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