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Alt 30.11.2012, 17:30
OOO OOO ist offline
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Daumen hoch Toll

Hallo,
dieser Thread freut mich. Ehrlich. Seit einigen Jahren habe ich mich schon über Taubenzuchtprogramme geärgert, da sie zum Abstammung malen geeignet sind, aber zu einer wirklichen Zuchtunterstützung im Sinne der Tierzüchtungslehre absolut nicht. Habe mir in der Zwischenzeit ein eigenes gestrickt. Doch endlich bewegt sich etwas!

Bei praktisch JEDER Tierzucht ist der Inzuchtkoeffizient eine SEHR WICHTIGE GRÖSSE, sofern man sich ernsthaft mit Tierzucht beschäftigt. Denn mit ihr kann der Inzuchtgrad eines einzelnen Tieres und insbesondere von geplanten Jungtieren aus Zuchtpaarungen berechnet werden.

Was das nützen soll? Nun, wenn man verstanden hat, was Inzucht konkret macht und was Heterosis und Inzuchtdepression sind, versteht man wozu der Inzuchtkoeffizient gut ist. Auch versteht man dann , warum dies erst recht in Leistungszuchten wie der Brieftaubenzucht nicht unwichtig ist!
Also am besten liest man sich da einfach mal ein.

Zur Frage, ab wann Inzucht ggf. negative Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit hat: Ich habe einmal den Bestand der Gebrüder Janssen (Datenbasis waren zig hundert Taubenabstammungen und parallel die Angaben zur Bestandsgröße der Janssens) dahingehend analysiert, wie sich die Inzucht in ihrem Bestand über die Jahre entwickelt hatte. Ergebnis: Grob ab Mitte der 70er Jahre ist wohl die mittlere Inzucht im Bestand der Gebrüder über 15% hinaus gegegangen (das liegt irgendwo zwischen dem Inzuchtgrad der Nachzucht einer Vater-Tochter-Verpaarung und einer Vater-Enkelin-Verpaarung). In den 80ern betrug sie dann irgendwann schon grob 20% (Was schon fast einer Vater-Tochter-Verpaarung entspricht). Da in dieser Zeit auch die Erfolge der Janssens deutlich nachließen, ist zu vermuten, dass solche Inzuchtgrade einen Teil dazu beigetragen haben.

Ebenso habe ich einmal versucht die Aarden-Population die auf der Weitstrecke noch heute eine sehr große Rolle spielt, auf ihren Inzuchtgrad zu untersuchen. Ergebnis: Bei Aardentauben, die von Schlägen stammen die ausgesprochene Fans dieser Taubenfamilie sind, liegen die Inzuchtgrade im Mittel eher um die 5%, also noch deutlich geringer (und die Tauben immer noch zu Nationalsiegen auf der Weitstrecke fähig). Die Ursache für die noch rel. geringe Inzucht in dieser Population: Die Population ist sehr sehr viel größer, als die des Original Janssen Bestandes (am besten einmal Googlen, was die Bestandsgröße mit der Inzuchtzunahme in einer Population zu tun hat).

Dennoch gibt es auch immer mal Einzeltiere, die mit trotz eines sehr hohen Inzuchtgrades noch eine hohe Leistung bringen können (z.B. der Jonge Merckx der gebr. Janssen), bzw. eine hohe Vitalität besitzen.

Zwei Übersichtstexte zum Thema hier und hier (wenn auch schon über 4 Jahre alt)

Grüße
Meinolf

PS: Der Ahnenverlustkoeffizient nützt nicht sehr viel in Bezug auf diese Betrachtungen, da er nicht mit der Inzucht korreliert ist. Er sagt eigentlich nur, wieviel unterschiedliche Tiere an der Basis einer Population/einer Taube standen. Wenn man das wissen will (warum auch immer) ist er dafür eben nützlich, aber ansonsten??. Wird eine Taube aus zwei stark ingezüchteten nicht verwandten Einzeltieren gezüchtet, so hätte sie z.B. einen recht großen Ahnenverlust, aber der Inzuchtkoeffizient ist dennoch Null.
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"Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben." Alexander von Humboldt