Thema: Trichomonaden
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Alt 29.10.2000, 13:06
Tiberius Mohr, Tierarzt
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Standard Trichomonaden

Antwort auf die Fragen von Andreas (siehe Beitrag vom 12.01.00)

>>> leider ist mir noch nicht ganz klar geworden, welche Präparate ihnen zur Bestandsbehandlung während der Reise über die Tränke als geeignet erscheinen.

Für die Bestandsbehandlung über das Trinkwasser oder Futter während der Reise gibt es (leider) keine geeigneten Präparate. Alle diese Präparate sind auf eine Behandlungsdauer von 5 bzw. 9 Tagen ausgelegt. Wird die empfohlene Behandlungsdauer unterschritten, muß mit Resistenzentwicklungen gerechnet werden.
Mit einigen Tricks — die bekanntlich dem Taubenzüchter besonders liegen — kann man in großen Beständen versuchen, die Trichomonaden zumindest im Zaum zu halten, die Gefahr der Resistenzbildung besteht aber. Weiteres im letzten Abschnitt.


>>> Wenn ich alles richtig verstanden habe, ist Ronidazol für eine Bestandsbehandlung bei ausreichend langer Dauer gut geeignet, aber wegen der langen Anwendungsdauer nicht während der Reise. Gleiches gilt für Dimetridazol und Tricho-Stop.

Ja, das ist richtig. Vor allem mit Ronidazol ist in den vergangenen 30 Jahren so viel herumexperimentiert worden, daß die Trichomonaden nur noch darüber „lachen“, wenn weniger als 10 Tage (oder unterdosiert) damit behandelt wird. Für Dimetridazol gilt Ähnliches (5-6 Tage) und TrichoStop-plus ist auf dem Weg dahin. Es gibt zur Zeit zwar noch keine gegen TrichoStop-plus resistenten Stämme, aber nur weil wir Zusammensetzung und Konzentration ständig (zum Teil monatlich) der Resistenzlage anpassen. Bei der Experimentierfreudigkeit der Taubenzüchter ist ein Ende unseres Spielraumes jedoch für die kommenden Jahre abzusehen, denn mit der Zeit haben wir alle pharmakologisch sinnvollen Möglichkeiten ausgeschöpft.

Bei der Auswahl des Trichomonadenmittels unterliegen die Züchter oft einem Irrtum: Es ist zwar richtig, daß man die Mittel wechseln sollte, um der Resistenzentwicklung entgegenzuarbeiten. Die Empfehlung bezieht sich aber vor allem auf einen geschlossenen Bestand, also auf einen Bestand, der keinen Kontakt zu Trichomonaden aus anderen Beständen hat. Bei der Reisemannschaft trifft diese Voraussetzung nicht zu, denn die Trichomonaden, die die Tauben aus dem Kabinenexpreß, dem Ackertümpel oder aus der Wegrandpfütze nach Hause schleppen, stammen ja nicht aus dem eigenen Bestand, vermutlich stammen sie sogar wöchentlich aus einem anderen Infektionsherd. In diesem Fall kommt es weniger darauf an, was man selbst für Trichomonadenmittel bisher verabreicht hat, sondern darauf, gegen welche Mittel die Trichomonaden im Ursprungsbestand resistent geworden sind. Das dürfte in den meisten Fällen unbekannt sein. Folglich muß immer damit gerechnet werden, daß die Tauben Trichomonaden nach Hause bringen, die zumindest Teil-Resistenzen aufweisen. Aus diesem Grund sollte immer das wirksamste Mittel eingesetzt werden. Und weil das alles Tatsachen sind, auf die weder der Züchter noch der Tierarzt einen Einfluß haben, sollte man es nicht darauf ankommen lassen und ausschließlich so behandeln, wie behandelt werden muß — keine Experimente!
Jeder Züchter verabreicht irgend etwas, keiner gibt es aber zu, im Glauben, das Ei des Columbus gefunden zu haben — das Problem ist bekannt, die Vorsorgearbeit des Tierarztes wird dadurch nicht gerade einfacher.
Sich in der Einsatzstelle danach umzuhören, wer was gegen Trichomonaden verabreicht, ist erfahrungsgemäß nicht wirklich aufschlußreich: Fragt man einen Züchter nach durchgeführten Behandlungen, bekommt man immer die gleiche Antwort: „nur Futter und Wasser, gelegentlich Obstessig und Bierhefe“ — nein, Arzneimittel werden nicht verabreicht, auch keine Vitamine. Antibiotika? Das ist doch Teufelszeug! Trichomonadenmittel haben sich bisher erübrigt, da im Bestand in den letzten 20 Jahren nie Trichomonaden nachgewiesen wurden. Kokzidien oder Würmer natürlich auch nicht — daß man sich überhaupt traut, so etwas zu fragen... scheinheilig gibt sich der Gefragte fast beleidigt. Umherstehende Züchterfreunde und Vereinskollegen blicken voller Bewunderung zum Züchter X auf, nicken zustimmend und man wird so angeguckt, als hätte man den verseuchtesten Bestand der Welt. Der fachkundige Zuhörer muß bei all dem den Eindruck bekommen, daß die Tauben aus der gesamten Einsatzstelle bisher ausnahmslos von blinden Tierärzten untersucht wurden.

Die Geheimnistuerei geht so weit, daß manche Züchter sogar in der Praxis (unter vier Augen) versuchen, mich anzuschwindeln.
Konkreter Fall: Vor Beginn der Untersuchung frage ich immer nach den in den letzten Wochen durchgeführten Behandlungen, um eventuelle Medikamentenreste beim Anlegen der Proben schon zu Beginn der Bebrütung heraus zu verdünnen. Nein, nur Futter und Wasser... Ich muß es einfach glauben.
Wenn dann die Kropfschleimhautzellen typische Veränderungen durch Trichomonadenmittel aufweisen, muß ich die Frage natürlich wiederholen — ah ja, gegen Trichomonaden wurde bis vor 3 Tagen behandelt, aber NUR gegen Trichomonaden, versichert mir der Züchter mit sichtlichem Unbehagen und wird zunehmend unruhiger. Man kann den inneren Kampf förmlich riechen, die Stirnhaut ist bis zum Maximum gerunzelt — wer weiß, was Mohr noch so alles erkennen kann?...
Bevor ich die Kloakenschleimhaut unter dem Mikroskop untersuche, fällt es dem Züchter „plötzlich“ ein: auch gegen Kokzidien wurde behandelt, aber lediglich 2 Tage — langsam wird es peinlich. Der Züchter verlagert sein Gewicht immer öfter von einem Bein auf das andere.
Nachdem das Eis gebrochen ist, wird endlich (und voller Verlegenheit) die Liste herausgerückt. Darauf befindet sich meistens so gut wie alles, was man Tauben irgendwie verabreichen kann (zum Teil eine Fülle von Unsinnigkeiten).

Ich habe in der Praxis erlebt, daß sich wirklich sehr gut befreundete Züchter gegenseitig und über Jahre anschwindeln. Züchter, die seit 40 Jahren befreundet sind, gemeinsam zur Schule gegangen sind, einen gemeinsamen Zuchtschlag unterhalten (aber getrennt reisen), verschweigen sich gegenseitig was sie den Reisetauben Woche für Woche in die Tränke kippen. Sie kommen sogar getrennt zu uns in die Praxis und keiner weiß vom anderen, daß er zum Tierarzt fährt (Mohr? Wer ist das? — von mir haben beide natürlich noch nie etwas gehört!). Die Kotbescheinigung lassen sich beide von der Taubenklinik ausstellen (die Kotproben werden gemeinsam nach Essen geschickt), natürlich nach Abschluß aller Behandlungen).
Es fallen im Wartezimmer manchmal unschöne Worte, wenn sich zwei Vereinskollegen zufällig in der Praxis treffen, die sich noch vor einigen Tagen gegenseitig heftig davon abgeraten haben, zu mir in die Praxis zu fahren. Wir haben schon so manche heitere Stunde in der Praxis erlebt...

Unter diesen Bedingungen ist sicherlich nicht zu erfahren, wer, was, wie lange und zu welchem Zeitpunkt gegen Trichomonaden verabreicht hat. Man kann offensichtlich nicht einmal seinem besten Züchterfreund „trauen“. Daß diese Geheimniskrämerei in der eigenen Einsatzstelle, wo Tauben aller an der Reise beteiligten Züchter ihre Krankheitserreger Woche für Woche untereinander austauschen, als Bumerang zurückkommt, ist den wenigsten klar. Krankheitserreger, die die Tauben aus dem Kabinenexpreß nach Hause mitgebracht haben, lassen sich nur für eine bestimmte Zeit bekämpfen. Für immer verschwinden werden sie nur, wenn alle Träger GLEICHZEITIG behandelt werden. Das ist aber nicht möglich, denn „keiner geht zum Tierarzt“, „alle Tauben sind gesund“ und „keiner verabreicht irgendwelche Medikamente“. Ist es wirklich so schwer zu sagen: Hört mal ihr Kollegen, meine Tauben haben sich am letzten Sonntag im Auto mit Trichomonaden angesteckt. Wollen wir nicht alle gemeinsam etwas dagegen unternehmen, damit nicht jeder jede Woche die Tauben mit Trichomonadenmitteln behandeln muß?


>>> Für die Reise empfehlen sie Metronidazol, Carnidazol und Tricho-Stop-Flüssig, wobei letzteres besonders empfohlen wird. Allerdings ist keines der Präparate für eine Bestandsbehandlung über die Tränke geeignet. Richtig?

Das ist richtig. Bei jedem dieser Präparate gibt es (mindestens) einen Grund, weswegen es nicht über das Trinkwasser verabreicht werden sollte: Metronidazol ist in erforderlicher Konzentration zu bitter, bei Carnidazol muß die gesamte Tagesmenge auf einmal aufgenommen werden und TrichoStop-Flüssigkonzentrat bleibt nicht lange genug im Trinkwasser stabil (außerdem müßte über das Trinkwasser gegenüber der Einzeltierbehandlung die doppelte Menge verabreicht werden = doppelter Preis!).


>>>Was empfehlen sie also zur Ergänzung einer Einzeltierbehandlung während der Reisezeit, um auch einmal (Damit meine ich nicht nur einen Tag) eine Bestandsbehandlung über das Trinkwasser durchzuführen, um die von mir in meinem Beitrag beschriebenen negativen Folgen einer ausschließlichen Einzelbehandlung zu vermeiden.

Die einzige „negative Folge“ einer Einzeltierbehandlung ist der erhöhte Arbeitsaufwand. Man hat dann vermutlich zu viele Tauben oder zu wenig Zeit — oder beides. Natürlich sollte eine Wirkstoffkombination eingesetzt werden, die in den Kropf verabreicht, ihre Wirkung im gesamten Körper entfaltet.

Ich kann als Tierarzt nur das empfehlen, was aus pharmakologischer Sicht einen Sinn macht, und das ist während der Reise die Einzeltierbehandlung mit einem geeigneten Mittel — Arbeitsaufwand hin, Arbeitsaufwand her, auf die Wirkung kommt es an. Schließlich behandelt man seine Tauben nicht, um Zeit zu sparen, sondern um eine Heilung herbeizuführen. Und wenn eine Einzeltierverabreichung aufgrund der hohen Anzahl vorhandener Reisetauben nicht durchführbar ist, dann muß entweder der Bestand verkleinert oder eine Leistungsminderung durch Trichomonaden in Kauf genommen werden (die Einstellung eines Schlagpflegers tut es auch).

Geeignet ist ein Mittel immer dann, wenn es bei fachgerechter Verabreichung sein Ziel erreicht, die Trichomonaden bei Einhaltung der Konzentration und Behandlungsdauer restlos abzutöten.

Wenn man die Möglichkeit hat, die Empfindlichkeit nachgewiesener Trichomonaden prüfen zu lassen, ist die Vorgehensweise klar. Hat der behandelnde Tierarzt diese Möglichkeit nicht, dann sollte man für die Routinebehandlungen das Mittel ständig wechseln: keine zwei aufeinanderfolgende Kuren mit dem selben Wirkstoff. Grundsätzlich gilt, daß man bei der Bekämpfung von Krankheitserregern, die schon seit mehreren Jahrzehnten im Brieftaubensport bekämpft werden, immer auf die neueste Entwicklung auf dem Arzneimittelsektor zurückgreifen sollte — alle anderen Mittel „kennen“ die Erreger schon und alle wurden schon mehrfach unterdosiert verabreicht!

Für Bestandsbehandlungen über das Trinkwasser gilt also:
1) Konzentration einhalten, Dosierung dem tatsächlichen Trinkwasserbedarf anpassen
2) Behandlungsdauer nicht unterschreiten
3) Mittel regelmäßig wechseln (v.a. bei Zucht- und Jungtauben), bei Reisetauben ausschließlich Mittel mit nachgewiesener Wirksamkeit gegen den aktuellen Trichominadenstamm einsetzen.
4) Neuentwicklungen auf dem Arzneimittelsektor bevorzugen
5) Nicht während der Mauser verabreichen
6) Nicht verabreichen, wenn Junge im Nest liegen
7) Nicht während der Reise verabreichen
8) Medikiertes Trinkwasser in empfohlenen Abständen frisch ansetzen

Für die Einzeltierbehandlung während der Reise (und für die Einzeltierbehandlung der Nachzügler und zugekauften Tauben) immer nur das Präparat einsetzen, dessen Wirksamkeit in der Praxis nachgewiesen wurde. Wenn das Metro-flüssig noch wirkt, sollte man Metro-flüssig einsetzen (und sich darüber freuen) und nicht das stärkere TrichoStop Flüssigkonzentrat. Wenn nichts mehr wirkt hat man dann immer noch TrichoStop Flüssigkonzentrat in der Hinterhand, um die Meisterschaft zu retten. Carnidazol hat — zumindest was die einmalige Behandlung mit einer einzigen Tablette betrifft — im Brieftaubensport bereits vor Jahren ausgedient. Es wird nur noch von Tierärzten empfohlen und vertrieben, die ihre „Fach“-Informationen hinsichtlich der Behandlung von Brieftauben aus Katalogen der Pharma-Firmen beziehen.

Für die Einzeltierbehandlung während der Reise gilt also:
1) Dosis pro Taube einhalten
2) Ausschließlich direkt in den Schnabel bzw. Kropf verabreichen
3) Nur Wirkstoffe verwenden, die bei einmaliger Applikation alle Trichomonaden abtöten
4) Behandlungen können auch dann durchgeführt werden, wenn sich Junge im Nest befinden (behandeltes Elterntier für eine Stunde aussperren, anschließend das andere Elternteil behandeln und aussperren)
5) Jungtauben im Nest nicht vor Erreichen des Alters behandeln, das vom Hersteller empfohlen wird (bei TrichoStop Flüssigkonzentrat heißt das: Alter 15 Tage: 2 ml, Alter 20 Tage: 3 ml, beim Absetzen: 5 ml)

Als Tierarzt kann ich nicht dafür sein, die Applikation eines Arzneimittels davon abhängig zu machen, ob man dafür die nötige Zeit aufbringen kann. Als Taubenzüchter aber muß ich versuchen, hinsichtlich der Trichomonadenbekämpfung mir einiges einfallen zu lassen, obwohl mir bewußt ist, daß die Wirksamkeit darunter leidet. Als Taubenzüchter UND Tierarzt habe ich jedoch aufgrund meiner Fachkenntnisse die Möglichkeit, einen medizinisch zwar nicht absolut korrekten aber doch vertretbaren Zwischenweg einzuschlagen. Ein NUR-Taubenzüchter hat diese Möglichkeit nicht, und jeder Taubenzüchter kann nur gewinnen, wenn er sich den Rat eines Tauben-Tierarztes einholt, bevor „das Kind in den Brunnen gefallen ist“.
Man könnte beispielsweise die Spartrix-Tabletten in einem Mörser zerkleinern und an angefeuchtetes Futter binden. Die Menge Futter müßte dann so bemessen sein, daß die Tauben die gesamte Menge auf einmal aufnehmen. Die Anzahl der Tabletten müßte man erhöhen, denn ein Teil bleibt im Eimer kleben, ein Teil verbleibt im Futtertrog. Die Einzelverabreichung finde ich unter diesen Umständen weniger arbeitsaufwendig und kostengünstiger — was ihm lieber ist muß jeder für sich entscheiden.
Die zweite Möglichkeit wäre, TrichoStop Flüssigkonzentrat ins Trinkwasser zu mischen, und zwar so, daß die gesamte Trinkwassermenge innerhalb von 30 Minuten aufgenommen wird und jede Taube 10 ml Wirkstoff trinkt (= 1 Flasche TrichoStop Flüssigkonzentrat auf 1750 ml Trinkwasser). Die Behandlungskosten verdoppeln sich in diesem Fall, denn bei einer Einzeltierbehandlung würden 5 ml pro Taube alle Trichomonaden innerhalb von 10 Minuten abtöten. Wer aber ohnehin 740 Tauben und einen Schlagpfleger unterhalten kann (konkreter Fall!), den wird der doppelte Preis weniger abschrecken als der Zeitaufwand von 10 Minuten pro Taube (einschließlich fangen) = 7.400 Minuten = 123,3 Stunden = 5,14 Tage!

Das Ausarbeiten einer für den konkreten Bestand passenden Behandlungsstrategie muß im Rahmen eines eingehenden Beratungsgesprächs erfolgen. Mit theoretischen Überlegungen ist den wenigsten Züchtern geholfen. Ich hoffe Ihnen trotzdem mit meinen Ausführungen einige Anhaltspunkte gegeben zu haben.

Tiberius Mohr


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