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Alt 01.08.2000, 20:22
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Zwucki Zwucki ist offline
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Standard Wann sind während der Preisflüge Vitamingaben am Besten?

Sehr geehrter Herr Dr. Mohr,
in unserem Verein bzw. Einsatzstelle, herrscht Uneinigkeit an welchem Wochentag während der Preisflüge man am Besten Vitamine geben soll.
Ein Züchter gibt sie schon dienstags, der Andere donnerstags und der Dritte sogar erst am Freitag, also einen Tag vor dem Einsatz der Tauben zum Preisflug. Nun meine Frage: Zu welchem Zeitpunkt ist die Vitamingabe am Sinnvollsten und wie lange braucht der Taubenorganismus, diese Vitamine am Effektivsten umzusetzen?
Für Ihre Hilfe schon jetzt recht herzlichen Dank, verbleibe ich mit sportlichem Gruß, Hans-Jürgen Schmitz
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  #2  
Alt 03.08.2000, 08:41
Tiberius Mohr, Tierarzt
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard Wirkstoffversorgung, Antwort

Sehr geehrter Herr Schmitz,

der Zeitpunkt der Verabreichung eines Wirkstoffes hängt erstens vom Zeitpunkt ab, an dem der Wirkstoff im Körper die erwünschte Wirkung entfalten soll und zweitens von der Zeitspanne, die von der Verabreichung bis zum Eintreten der Wirkung vergeht.

Bekannt ist auf jeden Fall der Zeitpunkt, an dem die Wirkung eintreten soll: der Flugtag. Bekannt ist dem Taubenzüchter auch, was bewirkt werden soll: eine Steigerung der Flugleistung (Geschwindigkeit, Ausdauer). Nicht bekannt ist dem Taubenzüchter die genaue Wirkungsweise der Wirkstoffe, die eingesetzt werden und damit der optimale Verabreichungszeitpunkt.

Die Art und die Geschwindigkeit der Umbauvorgänge im Körper sind prinzipiell von drei Faktoren abhängig:

1) von der Tierart
Die Taube verstoffwechselt bestimmte Stoffe anders als Hund, Katze oder Mensch. Die Acetylsalicilsäure (der Wirkstoff aus dem unter Taubenzüchtern z u u n r e c h t beliebten Weidenrindentee) beispielsweise hat beim Menschen eine Halbwertzeit (HWZ) von ca. 8 Stunden, beim Hund beträgt die HWZ ca. 24 Stunden, bei der Katze nahezu 48 Stunden. Die Taube „verarbeitet“ die ASS innerhalb von ca. 6 Stunden.
Mit Vitaminen verhält es sich ähnlich, auch bezogen auf die verschiedenen Vogelarten. Die Metabolisierung (die Verstoffwechselung) der Vitamine im Körper der Taube ist gut untersucht und bestens bekannt.

2) von der sogenannten galenischen Zubereitung und den darin enthaltenen Hilfsstoffen
Ein Arzneimittel oder Futterzusatzpräparat besteht sehr selten nur aus dem Wirkstoff in Reinsubstanz. Die Aufnahme des Wirkstoffes aus dem Darm und die anschließende Umwandlungen im Stoffwechsel hängen von den Eigenschaften dieser Hilfsstoffe ab. Es gibt Hilfsstoffe, die die Aufnahme und die anschließende Verarbeitung beschleunigen und solche, die diese verzögern (um mehrere Stunden oder Tage).

Bereits im Altertum hatte man erkannt, daß Pflanzen oder deren Teile, Mineralien und andere Stoffe selten pur eingenommen werden können. Die Kunst der Ärzte und später der Apotheker bestand darin, z.B. übelschmeckende Medizin durch Zutaten geschmacklich zu verbessern. Der griechische Arzt und Apotheker Galenos von Pergamon (131 bis 201 n. Chr.) hat so neben der Therapie auch die Arzneiherstellung bis heute beeinflußt. Dieser Wissenschaftszweig wird nach ihm als Galenik bezeichnet.
Schon bevor ein neues Medikament erstmalig geprüft wird, setzt die Arbeit des Galenikers ein. Er entwickelt eine Darreichungsform für den neuen Wirkstoff. Je nachdem, wo und wie das Medikament einwirken soll, kann dies eine Tablette, eine Injektionszubereitung, eine Salbe oder ein Zäpfchen sein. Bei vielen Arzneimitteln wird die Bioverfügbarkeit durch die Wahl einer geeigneten Darreichungsform verbessert.
Da Arzneistoffe in aller Regel schon in sehr geringer Dosis wirksam sind, müssen sie mit Hilfsstoffen vermischt werden, um überhaupt eingenommen werden zu können. Daher besteht eine Tablette nicht nur aus der Wirksubstanz, sondern auch aus Hilfsstoffen. Diese müssen sich mit der Wirksubstanz vertragen und sie stabil halten. Sie sind die Formgeber eines Medikaments und schaffen oft erst die Voraussetzungen für seine erfolgreiche Anwendung. Die Wahl der richtigen Hilfsstoffe trägt dazu bei, daß der Wirkstoff in der richtigen Zeit und in der optimalen Konzentration am Zielort verfügbar ist.


3) von der chemischen Form, in der der Stoff in dem angewendeten Präparat vorliegt
Von der chemischen Form hängen der vom Körper „gewählte“ Verarbeitungsweg, die Verarbeitungsgeschwindigkeit und die Wirksamkeit eines Wirkstoffes ab. Wir wollen dies am Beispiel von Vitamin A verdeutlichen:

Vitamin A ist als Oberbegriff für eine Gruppe chemisch eng verwandter Substanzen zu verstehen, die qualitativ das gesamte biologische Wirkspektrum von all-trans-Retinol aufweisen (Näheres dazu siehe in unserem Buch „Medizinische Versorgung im Brieftaubensport“, Seite 96-106).
Demnach gibt es nicht nur „ein Vitamin A“, nicht nur eine einzige chemische Verbindung, die diese Voraussetzung erfüllt und in einem lebenden Organismus eine Vitamin-A-Wirkung entfaltet.
Diese Retinoide (chemische Abkömmlinge der Retinsäure) und Aretinoide (aromatische Retinoide synthetisiert durch Veränderungen am Zyklohexenring) entwickeln im Körper nicht das gesamte Wirkspektrum des Retinols (also des eigentlichen Vitamins A).
Um einen Vergleich der unterschiedlich stark ausgeprägten Vitamin-A-Wirkung verschiedener Stoffe durchführen zu können, benötigt man für die Umrechnung einen Standardwert.
Als Referenzsubstanz hat man sich auf den Hauptvertreter dieser Stoffgruppe, auf all-trans-Retinol geeinigt und dessen biologische Vitamin-A-Wirkung auf 1 gesetzt. Die Vitamin-A-Wirkung aller übrigen Retinoide wird auf die Vitamin-A-Wirkung dieser Standardsubstanz bezogen.
Dieser Referenzwert gibt anders gesagt die „Stärke“ der Vitamin A-Wirkung wieder. Hat zum Beispiel eine Substanz den RE-Wert 0,5 (RE=0,5), also einen halben Retinolwert, heißt dies, daß die gleiche Menge dieses Stoffes nur die halbe Wirkung der gleichen Menge Retinol entfaltet bzw. daß die doppelte Menge aufgenommen werden muß, damit eine dem Retinol entsprechende Wirkung erzielt werden kann.

Nicht nur die Menge des Vitaminpräparats, die gegeben werden muß, um den Bedarf zu decken, hängt von der chemischen Form ab, sondern auch der Zeitpunkt der Verabreichung, damit zum gewünschten Zeitpunkt die Wirkung entfaltet wird. Wird nämlich ein Präparat verwendet, bei dem der eigentliche Wirkstoff erst in mehreren Schritten im Stoffwechsel der Taube freigesetzt werden muß, ist die Dauer dieser Umwandlungen mit zu berücksichtigen. Wenn Züchter A 1 ml pro Liter seines Präparates verabreicht, kann der Züchter B dies nicht auf sein Präparat Y übertragen, ohne Unter- bzw. Überdosierungen (und damit die entsprechenden Folgen) zu riskieren.

Wir haben diesen Sachverhalt so ausführlich erläutert, um zu verdeutlichen, daß die unten angegebenen Empfehlungen nicht auf andere Präparate übertragen werden können und sollten. Unsere Empfehlungen beziehen sich AUSSCHLIESSLICH auf die von uns eingesetzten Präparate. Wir kennen bei diesen Präparaten die genaue chemische Zusammensetzung und die galenische Zubereitung und können so den optimalen Zeitpunkt für die Verabreichung und die zu verabreichende Menge bestimmen — alles andere ist Pfuscherei.

Um einen Wirkstoff zum richtigen Zeitpunkt anzuwenden, muß auch die genaue Wirkungsweise bekannt sein: „das ist gut für die Tauben“ reichte vielleicht dem Großvater im Jahr 1930, heute reicht es sicherlich nicht mehr. Was genau macht dieser Wirkstoff im oder mit dem Körper der Taube?
Wir haben nichts gegen Futtermittelhändler, auch wenn es gelegentlich so aussieht — sie sollen auch leben können — aber diese Fragen können sie sicherlich nicht beantworten. Der richtige Ansprechpartner für die Wirkstoffversorgung ist der auf Tauben spezialisierte Tierarzt und nicht jemand, dessen Begründung so oder ähnlich ausfallen: „es wird viel gekauft, also muß es gut sein“, „es ist alles drin, was die Taube braucht oder „der Spitzenzüchter X kauft das immer“.

Konkret: Empfehlungen für die Wirkstoffversorgung zur Wettflugvorbereitung

Samstag (= Flugtag)
Electamin (ganztägig)

Sonntag und Montag
Keine Wirkstoffe. An diesen Tagen werden Vorsorgemaßnahem gegen Ansteckungen im Kabinenexpreß durchgeführt (diese Maßnahmen können nicht über das Forum besprochen werden, da sie auf den zu behandelnden Bestand und die Probleme in der RV abgestimmt sind)

Dienstag
Vitamin AD3E-C forte (3 ml / l TW)
Atemfrei I

Mittwoch
Roborans BT-1
Atemfrei I
Probiotikum BT-2000

Donnerstag
Roborans BT-Jod
eventuell Roborans BT-2 (= Einsatztag bei Flügen über 500 km) als Einzeltierbehandlung unmittelbar vor dem Einkorben

Freitag
(= Einsatztag) klares Wasser
Roborans BT-1 (mit der ersten Fütterung)
Atemfrei I (mit der ersten Fütterung)

Zu Beginn der Reisesaison und in der Woche vor den „Rückflügen“ werden das Vitaminpräparat AD3E-C sowie Roborans BT-1 niedriger dosiert (½-¼) als im Plan bzw. im Beipackzettel aufgeführt. Das gleiche gilt für heiße Tage, wenn die Trinkwasseraufnahme (und damit die Menge aufgenommener Arzneimittel) erhöht ist. Für alle übrigen Flüge erfolgt die Dosierung wie angegeben. Roborans BT-Jod wird ausschließlich in der im Beipackzettel angegebenen Dosierung angesetzt.

Die genaue Zusammensetzung und die Wirkungsweise der von uns verwendeten Wirkstoffpräparate werden zu einem späteren Zeitpunkt als Beitrag unter „Taubenmedizin“ veröffentlicht.


Wir möchten noch einmal davor warnen, unsere Angaben als Allgemeinrezept anzusehen. Wir haben es zwar oben ausführlich begründet — wir kämpfen täglich mit dem Eifer der Taubenzüchter zu verallgemeinern und Behandlungsempfehlungen zu „verbessern“.

Also nochmal:

Es ist ganz normal, wenn man versucht, die Angaben eines auf die medizinische Versorgung spezialisierten Tierarztes in seinem Bestand umzusetzen, nach dem Motto: „Mohr weiß wohl, was er sagt“. Mohr weiß zwar was er sagt, aber der Züchter weiß nicht, was genau er verabreicht, und Mohr weiß es auch nicht, wenn die Präparate nicht von ihm stammen (es sei denn, daß ihm die genaue Zusammensetzung zugänglich ist).


Mit freundlichen Grüßen

Tiberius Mohr
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