Radikaldiäten der falsche Weg
Tierarzt René Becker über die medizinische Vorsorge

Tierarzt René Becker |
Die Impfsaison ist in vollem Gange und wir haben einen Großteil unserer
Arbeit schon in den Wochen vor Weihnachten erledigt. Im Zuge der verschiedenen
Schlagbesuche kann ich mir jeweils ein gutes Bild von der Verfassung der Tauben
machen. Für viele Sportfreunde erweist es sich als Vorteil, wenn gelegentlich
fremde Züchter ihre Tauben und ihren Schlag unter die Lupe nehmen und als
Außenstehender die Dinge bewerten. Mit der Zeit wird man auf dem eigenen Schlag
allzu leicht betriebsblind und übersieht u. U. wesentliche Details, deren
Korrektur die Sportausübung verbessern und vereinfachen kann.
Eine Auffälligkeit, die regelmäßig auffällt, ist die übermäßige
Gewichtszunahme einzelner Tiere. Speziell die Weibchen haben auf vielen Schlägen
in den Wintermonaten mit Gewichtsproblemen zu kämpfen. Auch die Fütterung der
Tiere, denen kein Freiflug gewährt werden kann, gestaltet sich häufig schwierig.
Stets ist dann zu hören, dass sich diese Dinge spätestens mit der Anpaarung und
dem wieder einsetzenden Freiflug quasi von selbst erledigen würden.
Zunächst treten nicht selten als Folge übermäßiger Fettablagerungen in der
Bauchhöhle bei weiblichen Tieren Probleme bei der Legetätigkeit auf. Das
Unterfettgewebe reduziert sich in der Tat bei angepasster Fütterung und mehr
Bewegung sehr schnell, aber gerade die Fettablagerungen in der Bauchhöhle, die
bei der Handkontrolle der Tiere deutlich spürbar sind, sind nur schwer wieder in
der Griff zu bekommen. Ohne Zweifel ist gerade bei niedrigen Temperaturen eine
angepasste, energiereiche Fütterung geboten, allerdings nicht, ohne das Gewicht
der Tiere aus den Augen zu verlieren. Ist es zu einer starken Zunahme gekommen,
gibt es häufig ein Erschrecken beim Züchter. Es folgen Radikaldiäten, die wieder
für ein Normalgewicht sorgen sollen. Aber auch dies ist der falsche Weg.
Gerade dann reduziert sich schnell das Unterhautfettgewebe, wie wir es auf der
Muskulatur finden – das Fettgewebe in der Bauchhöhle bleibt jedoch. Eine langsam
fortschreitende und mäßige Reduzierung der Rationen und steigende Bewegung ist
das Mittel der Wahl, um das Idealgewicht zu erlangen. Neben einer übermäßigen
Versorgung sollte zudem eine Unterversorgung in der kalten Jahreszeit vermieden
werden. Füttern Sie ein temperaturangepasstes Winterfutter und verzichten auf
Radikalkuren oder Gemüsediäten.
Stellen Sie die ausreichende Versorgung mit notwendigen Wirkstoffen sicher.
Gerade bei fettlöslichen Vitaminen besteht ein relativ hoher Bedarf: Wir
verwenden "alfa-vitam", welches wir einmal wöchentlich verabreichen. Weiterhin
arbeiten wir in der Ruhezeit mit zwei weitgehend pflanzlichen Präparaten zur
natürlichen Gesunderhaltung, um eine übermäßige Keimvermehrung in der Zeit des
Festsitzens und der mangelnden Bewegung zu vermeiden. Das Säurepräparat "Vior"
verhindert zusätzlich einen übermäßigen Fettansatz. Das flüssige "Enterosan"
stellt die Gesundheit im Darm sicher und beugt jahreszeitlich bedingten
Durchfällen vor.
Der dünne Kot einzelner oder mehrerer Tiere beschäftigt uns in dieser Jahreszeit
verschiedentlich. Meist sind junge Vögel in ihrer ersten Zeit auf den
Witwerschlägen betroffen. Dies nährt in vielen Fällen die Vermutung, dass
vorwiegend psychische Gründe eine Rolle spielen. Ist dies der Fall, spricht man
vom sog. "psychogenen Pinkeln". Erhöhte Urinausscheidung über die Niere ist
Schuld an der dünnen Kot-Konsistenz. Aber es kann auch medizinische Gründe
geben. Die möglichen Ursachen erstrecken sich nahezu über alle vorkommenden
infektiösen Erkrankungen des Verdauungstraktes. Eine der häufigsten Diagnosen
ist hochgradiger Trichomonadenbefall. Die damit fast immer verbundene Infektion
des Darmes führt zu Durchfällen. Aber auch andere schwerwiegendere Befunde –
Wurmbefälle und Salmonellose – werden regelmäßig diagnostiziert.
Nicht selten spielen die Witterungsbedingungen eine nicht unerhebliche Rolle.
Nasskaltes Wetter mit hoher Luftfeuchtigkeit können Kot-Konsistenz und
Darmmilieu negativ beeinflussen. Bei sog. Dysbakterien helfen häufig "Enterosan
flüssig" und "Vior". Sollte sich keine infektiöse Ursache finden und deutet
alles auf eine psychogene Ursache hin, ist eine Behandlung schwierig. Mit der
Zeit leiden die Tiere unter den permanenten Durchfällen und
Flüssigkeitsverlusten, so dass die Verfassung mehr und mehr schlechter wird.
Nicht selten finden wir anschließend eine übermäßige Vermehrung von
Coli-Bakterien. Diese sind meist nicht ursächlich verantwortlich, sondern die
Folge wochenlanger psychogener Durchfälle. Eine Behandlung dieser Keime ist in
vielen Fällen unumgänglich. Sie alle kennen das Phänomen, dass die Symptomatik
verschwindet, sobald die Tiere angepaart sind. Ein Wechsel der individuellen
Situation scheint folglich das probate Mittel zum Stoppen der Durchfälle zu
sein. Ich empfehle, solche Vögel auf ihren Jungtierschlag zurückzusetzen und sie
dort bis zum Anpaaren zu belassen. Meist verschwinden die Durchfälle innerhalb
von einem Tag und die Tiere können den Winter in guter Form überstehen.
Mit dem Beginn der Zuchtsaison werden wir wieder vermehrt mit
Fruchtbarkeitsproblemen konfrontiert. Bei älteren Vögeln und Weibchen ist die
Ursache häufig in einem Nachlassen der körpereigenen Hormonproduktion zu suchen.
Daneben gibt es eine Vielzahl weiterer Ursachen für Unfruchtbarkeit, speziell
bei jüngeren Tieren. Diese reichen von angeborenen Defekten, über Folgeschäden
nach überstandener Infektion bis hin zur o. g. Fettleibigkeit bei Täubinnen.
Vorrangig sind es jedoch ältere Tiere, die infolge ihres Hormonstatus in der
Praxis vorgestellt werden.
Deutet alles auf Defizite im Hormonhaushalt hin, kann mit einer
entsprechenden Therapie begonnen werden. Bei Vögeln braucht man eine Vorlaufzeit
von vier Wochen. Diese erhalten drei Tabletten im Abstand von je einer Woche
verabreicht; eine Woche nach Gabe der letzten Tablette werden die Tiere
angepaart. Zusätzlich verabreichen wir die letzten zehn Tage vor dem Anpaaren
"Roborans"- und "Multi EB 12-Kapseln".
René Becker, prakt. Tierarzt
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