Thema: Biermilchhefe
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Alt 13.01.2002, 04:04
Tiberius Mohr, Tierarzt
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Standard RE: Biermilchhefe

Das kann doch alles nicht wahr sein... kennt die Wundermittelgläubigkeit bei Brieftaubenzüchtern gar keine Grenzen? Man bemüht sich um Aufklärung, investiert Zeit und Geld, um den Brieftaubensport langsam in Richtung 21. Jahrhundert zu bewegen... – und dann wird man mit der Frage nach Biermilchhefe (was immer dieser Schwachsinn auch sein mag...) ins finstere Mittelalter der Medizin zurückgeworfen.

Stellen wir uns mal vor, wir wären keine Brieftaubenzüchter. Und dann lesen wir die Beiträge über Biermilchhefe, Schwarzkümmelöl, Ringelblumen, Kehlsand (alleine schon die Bezeichnung ist Kabarettreif), Propolis, Weidenrindentee... die Aufzählung braucht eigentlich nicht weitergeführt zu werden, denn es gibt eigentlich kaum etwas wasser- oder futtermischbares was die Tauben noch nicht schlucken mußten. Und keiner dieser Züchter ist dadurch Meister geworden – denn Meister wird man nicht durch Geheimrezepte oder Schwarzkümmelöl, sondern durch „harte Arbeit“, einen guten Schlag sowie gute und gesunde Tauben. Wenn nur eines dieser vier Kriterien fehlt ist es vorbei mit der Meisterschaft. Einige arbeiten sich regelrecht bis zur Meisterschaft hoch, anderen ist es in den Schoß gefallen – weil sie eben das richtige tun, ohne es zu wissen und begründen zu können. Ich hoffe, es kommt jetzt keiner damit, man wolle den Tauben doch nur das ersetzen, was sie in der Natur nicht mehr aufnehmen können. Das ist eindeutig falsch, und zwar aus drei Gründen:
1) keiner (oder nur sehr wenige) gibt seinen Tauben irgend so eine stupide Mixtur, um „irgend etwas aus der Natur“ zu ersetzen, sondern in der Hoffnung, bessere Flieger zu haben als sein Nachbar. Es sollte jeder versuchen, sich das zumindest selbst zu gestehen... Wir sollten uns viel öfter an die eigene Nase packen.
2) Der zweite Grund ist, daß wiederum keiner (hier braucht man keine Einschränkung zu machen), der nicht durch sein Fachgebiet damit in Berührung kommt – also die Mehrheit der Züchter und Messefrequentierer – überhaupt die leiseste Ahnung davon hat, was eine Taube wann was braucht und in welchen Mengen. So einfach ist das. Und sollte es doch welche geben, die es von Berufswegen wissen, bin ich sicher, daß man auf diesen Schlägen keines dieser idiotischen Gebräue findet – die Tauben brauchen es einfach nicht, wenn man Glück hat dann verkraften sie die Behandlung ohne Schaden. Wenn die Tauben anschließend auch noch gut fliegen, dann trotz und nicht wegen der Verabreichung irgendwelcher Geheimmittelchen.
3) So gut wie keines dieser dubioser Mittel werden von den Tauben in der freien Wildbahn ausgenommen — weder Biermilchhefe, noch Propolis, Schwarzkümmelöl oder Weidenrindentee. Man braucht den Tauben folglich diese Mittel auch nicht „ersetzen“.

Ich bin sicher, als Nichttaubenzüchter würden wir uns vor Lachen nur so krümmen!
Was muß eigentlich passieren, damit Brieftaubenzüchter wieder anfangen, wie normale Menschen zu denken und nicht hinter jedem Sch... herzulaufen, den irgend ein Spinner irgendwann in die Welt gesetzt hat?
Es ist wirklich abartig, was in der Taubenzüchter-„Szene“ so abläuft. Letztes Jahr nahm ich eine Kollegin (eine Tierärztin) mit auf die Messe begleitet, weil eine Mitarbeiterin kurzfristig erkrankt war. Die Kollegin hatte bis zu diesem Zeitpunkt mit Brieftauben nichts zu tun, sie ist auf andere Tierarten spezialisiert. Als am Stand nicht so viel los war – die Züchter strömten in die Versteigerungshalle – machte sie eine Runde durch die Hallen und schaute sich neugierig alles an. An den Stand zurückgekehrt meinte sie nur: „wenn ich nicht mit Sicherheit wüßte, daß diese Messe wirklich real ist, würde ich vermuten, daß ich mich mitten in der Kulisse für einen schlechten, sicherlich unglaubhaften Film befinde. Ich werde meinen Freunden und Bekannten nichts davon erzählen, weil mir das ohnehin keiner glauben würde“. Und so geht es den meisten „normalen“ Menschen. Mir fällt das nicht mehr so auf, ich bin in den Brieftaubensport sozusagen „hineingeboren“, aber erwachsene Menschen, die die Forumsbeiträge lesen, mit Züchtern ins Gespräch kommen oder von mir etwas erläutert bekommen, schütteln nur still mit dem Kopf. Wir machen uns beim „Rest der Welt“ lächerlich!
Man könnte natürlich einwenden, daß diese Menschen allesamt „Außenseiter“ sind, die mit unserem (sogenannten) Sport nichts zu tun haben und das alles nicht verstehen können. Das stimmt allerdings. Aber gerade aus diesem Grund sind sie qualifizierter als wir Brieftaubenzüchter, solche Abartigkeiten zu entdecken, denn sie sind noch nicht durch skrupellose Geschäftemacher verblendet und von Werbestrategen manipuliert. Sie haben nicht Monat für Monat die ganzseitigen Werbesprüche (als wissenschaftliche Beiträge verpackt) irgend eines Naturwundermittelverkäufers über sich ergehen lassen. Durch ständiges Wiederholen entsteht der Eindruck, es sei wirklich etwas daran wahr. Leider wird eine falsche Behauptung durch ständiges Wiederholen nicht wahrer. Außenstehende sind noch vorurteilsfrei und können noch herzhaft über „unsere“ Dummheit lachen. Ich nehme mich absichtlich aus dieser Reihe nicht aus. Bevor ich angefangen habe, Tiermedizin zu studieren, bin ich auch mit Plastiktaschen von Spinne und Käppchen von Röhnfried durch die Messehallen gelaufen... Ich hatte sogar einen blauen Kittel auf dem der Spruch aufgenäht war „Taubensport mein schönstes Hobby“. Erst viel später habe ich mich geschämt für diesen Aufdruck – der weder grammatikalisch noch inhaltlich etwas hergibt. Nur merken tut es keiner, die Taubenzüchter kennen den Spruch von Kitteln, Käppchen und Autoaufklebern und hinterfragen nicht mehr, machen sich keine Gedanken darüber, wie es für einen Nichttaubenzüchter klingt. Man ist dann beleidigt, wenn man dafür ausgelacht wird – alles Außenstehende, die unser „schönstes Hobby“ überhaupt nicht verstehen. Ist es wirklich schon so weit? Genau so merkt keiner, wie er von bestimmten Wundermittelverkäufern manipuliert wird. Nach einer Weile wird ein „Sachverhalt“ schon selbstverständlich und man stellt ihn – als Taubenzüchter – nicht mehr in Frage. An diesem Punkt angelangt, hat der Verkäufer den Verstand im Taubenzüchter besiegt. Jetzt kann es losgehen...

Ich habe das alles nicht böse gemeint, und es ist auch keine Antwort auf die Frage von „der Blaue“ – die Antwort für ihn wäre: „ich kenne das Produkt auch nicht, sonst würde ich Ihnen einiges darüber schreiben“. Ich bin dem Brieftaubensport wirklich sehr verbunden – deswegen habe ich diesen Beitrag verfaßt — es ist aber wirklich krank, was in Taubenzüchterkreisen so alles passiert. Je mehr Ahnung man von den wirklichen Sachverhalten hat, um so schwerer sind diese Mißstände zu ertragen.
Man hat mir oft vorgeworfen, ich sei gegen die Futtermittelhändler. Nein, das bin ich mit Sicherheit nicht, ich bin nur gegen „Wundermittelhändler“, die „oft“ trotz besseren Wissens das Vertrauen der Taubenzüchter gewissenlos mißbrauchen — wenn nur die Kasse stimmt.
Man kann es mir wirklich „abkaufen“, denn es ist ja mein Fachgebiet, auf dem ich mich hervorragend auskenne, und die Eigenschaften eines Präparates anhand seiner Zusammensetzung korrekt einschätzen kann: beispielsweise haben die meisten aller angebotener Tees absolut keinen Einfluß auf Leistung, Leistungsfähigkeit oder Leistungsbereitschaft. Manche Produkte haben sogar überhaupt keine Wirkung bei Tauben, sie dienen nur der Bereicherung der Erfinder und Vertreiber. Wiederum andere sind für Tauben schädlich (siehe meinen Beitrag „Aberglaube und Mißverständnisse“ aus der Rubrik Fachbeiträge bzw. Taubenmedizin). Leider ist das die Wahrheit...
Wenn jetzt auch noch das AMG geändert wird und wir bei Tauben so gut wie keine Arzneimittel mehr verabreichen dürfen, dann wird „die große Stunde“ der „Wundermittelverkäufer“ kommen. Halten Sie Ihre Taschen jetzt schon offen, die Preise für Präparate mit vermeintlichen Wirkung gegen irgendwelche Krankheitserreger werden ins astronomische steigen. Allein die Tatsache, daß für die Therapie keine wirksamen Arzneimittel mehr zur Verfügung stehen könnten, macht die Ringelblume aber auch nicht wirksamer!
Züchter, die mehrere Tierarten haben (nicht nur Tauben) und Tierärzte, die beruflich mit mehreren Tieren zu tun haben und mit Züchtern aller möglicher Tierarten ins Gespräch kommen, fällt eines sofort auf. Die gleichen skrupellosen Individuen, die den Taubenzüchtern das Geld für ein Produkt aus der Tasche ziehen, daß angeblich {i]nur für Tauben geschaffen sein soll[/i], annoncieren oder stellen ihre „Fachbeiträge“ auch in Zeitschriften für Pferde, Hunde, Ziervögel... Das gleiche Präparat ist „wie geschaffen“ für das Tier, deren Züchter als Zielgruppe anvisiert wurden. Irgendwas kann da ja nicht mit rechten Dingen zugehen. Dabei ist das selbe Präparat, verkauft vom selben Hersteller, aber als Hühner-Präparat, im Vergleich zum Tauben-Präparat um ein Mehrfaches günstiger. Nach uns kommen der Hund, die Ziervögel und die Hühner, und an der Preisspitze stehen wir, die Brieftaubenzüchter. Wenn es wahr wäre, wie die Hersteller immer wieder betonen, daß bei den Preisen kaum ein Gewinn möglich ist (daß sie sich überhaupt nicht schämen!), dann machen diese Verkäufer riesen Verluste bei den Mitteln für Pferde, Hunde und sogar bei der Zielgruppe Kanarien- und Finkenzüchter — denn das selbe Mittel (in einer anderen Verpackung) ist für diese Tierarten günstiger als für Tauben — wo der Hersteller doch kaum Gewinn macht! Es ist klar, warum die Preise so kalkuliert werden. Ein Pferd braucht ganz andere Mengen und es wird schon keinem auffallen... Es ist aber jemandem aufgefallen und dieser jemand wird nach und nach alle Preise vergleichen und sie im Internet gegenüberstellen. Es geht doch nicht an, daß immer nur Brieftaubenzüchter mit maßlos überteuerter „Biermilchhefe“ geschunden werden. Sind Brieftaubenzüchter wirklich „dümmer“ als Pferdezüchter, oder lassen sie sich nur leichter manipulieren, weil wissenschaftlich gesicherte Zusammenhänge eben nur wenigen bekannt sind. Es wird mir immer wieder vorgeworfen, daß ich grundlos über die Futtermittelverkäufer herziehe. Wie die Sachlage ist, habe ich eingangs schon erläutert. Außerdem hat mich nicht zu interessieren, daß jemand Gaunereien betreiben will. Ich habe mich nicht einzumischen, das machen bestimmte Kontrollbehörden. Ich möchte nur dafür sorgen, daß möglichst wenig Brieftaubenzüchter den Bauernfängern auf den Leim gehen. Daß ich das alles unentgeltlich und in meiner sog. Freizeit mache, ist mittlerweile bekannt. Manchmal habe ich den Eindruck, daß solche Gauner so eine Art Flöte wie die des bekannten Rattenfängers haben, nur daß die Töne auf Brieftaubenzüchter geeicht sind.
Dabei ist es so einfach, sich vor den „Lockrufen“ dieser Spitzbuben zu schützen: man informiere sich an einer neutralen Stelle darüber, was die Wildtauben in der Natur wirklich fressen und was sie benötigen, um richtig „funktionieren“ zu können, und beim Tierarzt über den Wirkstoffbedarf während der Zucht, Reise und Mauser. Die meisten Züchter würden danach mit dem Humbug aufhören, den sie gegenwärtig mit ihren Tauben treiben, und die Zielgruppe für Scharlatane würde immer kleiner werden...

Tauben brauchen Taubengerechtes Futter. Basta! Keine Möhren, keinen Knoblauch, kein Schwarzkümmelöl, keine Biermilchhefe. Wenn allerdings in Zeiten hoher körperlicher Belastung (sprich Reise oder starker Zuchteinsatz) das normale Futter nicht alle Komponenten in ausreichender Menge liefern kann, weil die Taube nicht für solche Strapazen „konzipiert“ wurde, dann muß eben der fehlende oder gerade benötigte Wirkstoff hinzugeführt werden: sei es L-Carnitin, essentielle Fettsäuren, Jod, Magnesium, Eisen, bestimmte Vitamine oder ähnliches. Aber möglichst nur den fehlenden Wirkstoff, um den Stoffwechsel nicht unnötig zu belasten. Dabei sollte der Wirkstoff möglichst rein und nicht in einem Gemisch mit anderen 29 Inhaltsstoffen sein, und aus einer standardisierten, qualitativ hochwertigen Quelle stammen.
Die ganzen Naturprodukte, die aus der Natur stammen aber von der Natur überhaupt nicht als Futter für Tauben vorgesehen waren, belasten den Stoffwechsel der Taube (die Begründung spare ich mir, es würde zu viel Platz in Anspruch nehmen...) Es ist eben nicht alles gesund, nur weil es aus der Natur kommt, und schon gar nicht für jedes beliebige Lebewesen gleichgut geeignet. Tauben fressen in der freien Natur keine Möhren (sonst hätte die Natur den Schnabel der Tauben mit Zähnen versehen), sprühen sich keine Propolistinktur in die Nase, schnupfen keinen Kehlsand und trinken für gewöhnlich weder Obstessig noch Weidenrindentee oder Biermilchhefe (ob man Biermilchhefe trinken oder essen sollte weiß ich auch nicht...). Was wir unseren Tauben zumuten ist einfach abartig und manchmal gefährlich!

Fazit: Augen auf, Verstand nicht abschalten und bei Unklarheiten den Fachmann fragen! Das kann, je nach Bedarf, der Ernährungsphysiologe oder der Tierarzt sein.

Tiberius Mohr
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