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Alt 04.08.2022, 11:54
OOO OOO ist offline
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Standard Es braucht eine gute Auflass-Prozedur!

Hallo,
wie gesagt: Es hilft wenig, z.B. die Entscheider hier als "Anfänger" zu titulieren und zu denken, durch Abberufung dieser Person(en) das Problem nachhaltig lösen zu können. Natürlich war die Auflassentscheidung der betreffenden Person(en) katastrophal falsch.

Aber das wird so immer wieder passieren. Diesmal haben sie die Gewitterstörung nicht ausreichend in der Entscheidung berücksichtigt, beim nächsten Mal wird es ev. etwas anderes sein. Auflassentscheidungen sind ja leider sehr oft nicht einfach. Das ideale, störungsfreie "Taubenwetter" gibt es doch kaum. Und je länger die zu überfliegende Strecke ist, desto weniger wird es hier einfache Wetterlagen geben. Damit ist das auf der Weitstrecke noch einmal eine verschäfte Problematik.
Bei der Auflassentscheidung ist es also geradezu typisch/normal in einem Dickicht von sich teils widersprechenden Argumenten und Optionen die für die beste Entscheidung wichtigen Argumente und Optionen herauszufiltern. Es gibt hier sehr selten glasklare und konfliktfreie Konstellationen.

Obwohl die Mitteilung des KBDB relativ kurz ist, lässt sie sogar einen Einblick in genau so einen hier stattgefundenen Entscheidungskonflikt zu:
Zum einen war da die für den 29.7. in Auflassnähe angekündigte Gewitterstörung, zum anderen war da die Perspektive, dass am 30. und 31. über Frankreich starker Gegenwind herrschen könnte.

Da die beiden Flüge zuvor (Barcelona und Marseille) durch starken Gegenwind geprägt waren und entsprechend schwer waren, wurde die Entscheidung wohl unter diesem frischen Eindruck getroffen (da sagt das emotionale Gehirn des Entscheiders: "Hilfe, nicht schon wieder Gegenwind!"). Und so wurde die Gefahr der Gewitterstörung als nicht mindestens gleichwertig hoch empfunden. Hier macht uns als Mensch halt das Gehirn einen Strich durch die Rechnung. Wir glauben zwar rational zu entscheiden, aber in Wahrheit werden dann objektive Fakten zu wenig berücksichtigt, wenn die Empfindungen stark in eine andere Richtung tendieren.

ALLE Menschen treffen gerade dann oft emotionsbasierte und weniger faktenbasierte Entscheidungen, wenn sie im Falle eines Konfliktes zwischen zwei Entscheidungsoptionen keine klaren Entscheidungskriterien zur Verfügung haben.

Sie sind mit einer sich stellenden Problemsituation insbesondere dann überfordert, wenn diese sich noch nicht in ihrem persönlichen Erfahrungsfundus befindet.

Also:
Erfahrung hilft natürlich, jedoch auch Erfahrene und auch Personen mit höherer Stellung (für die ja meist erfahrenere Personen gewählt werden) sind für Fehlentscheidungen anfällig. Es können sogar gerade wegen des größeren Erfahrungsschatzes besondere Risiken von so einer Person ausgehen. Stichwort "Overconfidence". Hierbei traut sich der erfahrene Entscheider plötzlich auch zu, unkalkulierbare Risiken kalkulieren zu können ("Es hät schon immer jot jejange").

Üblicherweise versucht man in Bereichen, wo durch Menschen solche kritischen Entscheidungen zu treffen sind, diese Entscheidungen eben nicht mehr nur wenigen Individuen zu überlassen. Im Gesundheitswesen finden sich dazu genug Beispiele. Für viele Krankheiten haben sehr viele, sehr erfahrene Fachleute (Wissenschaftler und Ärzte) ihr Wissen zusammengetragen und ergänzen dies immer wieder um den aktuellen Stand der Forschung, um daraus verbindliche Leitlinien für die Diagnostik und Behandlung der betreffenden Krankheiten abzuleiten.

Damit spiegeln diese Leitlinien nicht nur die Erfahrungen weniger Ärzte wieder, sondern sehr vieler absoluter Fachleute, und es werden zudem objektive Fakten (z.B. ob die eine oder andere Erfahrung sich statistisch evident belegen lässt) mit in die Bewertung und Entscheidungsfindung mit einbezogen. Am Ende sind ALLE Ärzte (auch wenn die noch so erfahren und hoch dekoriert sind) dazu verpflichtet diesen Leitlinien bei ihren Entscheidungen zu folgen.

Für den Weg zur Auflass-Entscheidung solcher Weitstreckenflüge gibt es offensichtlich kein vordefiniertes Prozedere, welches wichtige (Mindest-)Standards vorschreibt.

Das könnte grob z.B. so etwas beinhalten:

- zwingend nachzuweisende Grundkenntnisse über die Nutzung von Internetbasierten Wetter-Informationen und zwingender Nachweis von Grundkenntnissen über die Durchführung von Auflässen ALLER in die Auflassentscheidung involvierten Personen
- zwingende Nutzung von Regenradarkarten, aber auch von Wettersimulationskarten, die die Wolkenhöhe, die Luftfeuchte, die Sichtweiten, die Temperatur und den Wind gut aufgelöst und aktuell darstellen.
- wichtige Entscheidungsgrundsätze und Showstopper, über die man sich NIE hinwegsetzen darf (egal, was sonst noch alles an Argumenten auf dem Tisch liegt)
- explizite Nennung wichtiger, zu beachtender Risikofaktoren in Form einer Checkliste, die bei einer Entscheidungsfindung zu beachten und ggf. situative zu bewerten sind.
- zwingend zu erstellende Dokumentation, die belegt, dass diese geforderten Mindeststandards auch wirklich bei der Entscheidungsfindung eingehalten wurden (z.B. durch Screenshots der gesichteten Wettersimulationskarten oder durch Serverprotokolle, wenn es gemeinsam genutzte, zentral bereitgestellte Dienste sind).
- Zwingende Nennung der identifizierten Risikofaktoren und Begründung der schließlich getroffenen Entscheidung (damit später Anhaltspunkte für Verbesserungen existieren).
...
dieses Beispiel erhebt bei weitem noch keinen Anspruch auf Vollständigkeit.


Es geht hier nicht nur um "gute" und "schlechte" Auflass-Entscheidende. Es geht hier um die grundlegende Herangehensweise. Und die ist hier das aktuell Hauptproblem!

Grüße
Meinolf
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"Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben." Alexander von Humboldt

Geändert von OOO (04.08.2022 um 12:16 Uhr)
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