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Alt 30.03.2010, 18:24
OOO OOO ist offline
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Standard Genetische Deutung

Zitat:
Zitat von Jörch Beitrag anzeigen
..immer wieder wird der Begriff Vitalität erwähnt, wenn es um Qualitätskriterien für Brieftauben geht. Aber was versteht man eigentlich darunter?..
Eigentlich eine sehr spannende Frage die du da gestellt hast. Zunächst kruz zu deinen Eingangsfragen:
Der Begriff "Nervosität" hat rein gar nichts mit "Vitalität" zu tun, denn Vitalität meint nicht Aktivität und nicht-Vitalität meint nicht Trägheit.

Vita- (lat. für Leben) lität meint eigentlich mehr "Lebenstüchtigkeit"

Mauser ist ein ebenso völlig getrennt zu sehendes Thema. Der unnormal (immer auf das Tier bezogen!) gestörte oder gehemmte Mauserverlauf mag auf eine individuelle Krankheiten hindeuten.
Langsames Mausern ist hingegen einfach nur eine gentisch vererbte Eigenschaft, die erstmal nichts mit Vitalität zu tun hat. Bei Hühner (deren Genom von allen Vögeln bisher am besten untersucht ist) gibt es z.B. eine Korrelation zwischen dem Zeitpunkt an dem die Geschlechtsreife einsetzt, Legebeginn und Mauserbeginn. Hühner die früh geschlechtsreif werden und eine hohe Legebeginn besitzen, Mausern auch früher und umgekehrt. Ursache hier bei Hühnern: Manche Gene sind an allen drei Prozessen gleichzeitig beteiligt. Dass ähnliche Dinge auch bei Tauben auftreten, ist nicht unwahrscheinlich. Also Mauser ist ein von Vitalität erstmal getrennt zu sehendes Ding.

Zurück zur Vitalität:
Eine robuste Gesundheit ist ein wesentliches Vitalitätsmerkmal. Andere Vitalitätsfolgen sind: Schnelles Erholen nach Anstrengung, robusteres Herz-Kreislaufsystem, belastbarerer Stoffwechsel, Fruchtbarkeit (Länge der Fertilität), Lebensdauer, Wachstum.

Ursachen einer erhöhten Vitalität:
Allem voran ist hier der Heterosis-Effekt zu nennen. Hierbei befinden sich bestimmte Gene im nicht reinerbigen (heterozygoten) Zustand, wodurch insbesondere diese Gene eine größere Wirkung erzielen, als im reinerbigen (homozygoten) Zustand. Dies wird in der Genetik Überdominanz-Effekt genannt.
Undd zudem gibt es Gene, die gleich auf mehrere Eigenschaften positive Auswirkungen haben können. Und auch für diese Gene besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, des Vorhandenseins solcher Wirkungen, wenn eine höhere Heterozygozität im Erbgut des jeweiligen Tieres vorhanden ist. Das nennt sich dann Epistasie-Effekt.

Zudem erhöhen auch weniger Defekt- bzw. Schad-Allele im Genom die Vitalität. Die Gebr. Janssen haben diesbezgl. extrem gute Arbeit für ihren Taubenstamm geleistet. Der Weg, die eigenen Tauben von solchen "Schad-Allelen" zu "reinigen" kann praktisch nur über Inzucht gehen, da die allermeisten "Schad-Allele" nur in Erscheinung treten, wenn sie reinerbig vorliegen, und man diese Reinerbigkeit in der Inzucht stark forcieren kann (PCR-Gentests für Tauben gibt es hierfür nicht, werden wohl auch nie kommen, da keine Forschung auf diesem Gebiet wie in der Nutztierzucht stattfindet).
Und so kann man dann die Linien, die sich schwächer zeigen, weil eben solche negativen Allele in Erscheinung treten komplett aus der Zucht eliminieren (Nicht nur Nachwuchs sondern auch die Allel-tragenden Eltern!).

Macht man das geschickt, drückt man zwar erst die Vitalität durch den zunehmenden Verlust an Heterozygozität (zunehmende Inzuchtdepression) herab. Aber wenn man später wieder kreuzt (Homozygotie ist spontan aufgehoben bei den Kindern), kommen Epistasie und Überdominaz-Effekte wieder zum Tragen und dies zusammen mit einem dann "saubereren" Genom (was schlechte Allele betrifft) und man erhält vitalere Tiere als zuvor. Dieser Effekt wird in der Züchtungsgenetik auch "Purging" genannt.

Vitalität ist dennoch fast nicht direkt vererbbar! Denn die Höhe der Epistasie-Effekte und Überdominanz-Effekte sind nicht planbar und unterliegen dem Zufall! Deshalb gehört auch immer Glück dazu ein As zu züchten, denn ein As- ist deshalb soviel besser, weil neben dem sehr guten Genom (voll mit guten additiven Eigenschaften) auch noch ein sehr hoher Überdominanz- und Epistasie-Effekt erzielt wurde.
Die mittlere Höhe dieses Gewinns an Leistungsfähigkeit, der hierdurch erzeugt wird ist eben genau das was man als Heterosis bezeichnet! Sie hängt auch davon ab, wie gut zwei gekreuzte Linien zu einander passen ("Passer-Effekt"). Hier hilft nur ausprobieren (bzw. das Nutzen von Erfahrungen, die bereits andere machten)!

Aus vitalen Tieren kann ich zudem nicht Vitale züchten und umgekehrt. Die Vererblichkeit der Vitalität ist also sehr gering (eben weil die Größe der Heterosis zufallsbedingt ist!)! Lediglich die "Reinigung" des Genoms von "Schad-Allelen" ist ein wenig "planbar" und diese so gefestigten Eigenschaften (wie z.B. eine hohe Resistenz gegen Trichomonaden oder Kokzidien) besitzen dass eine hohe Vererblichkeit, tragen aber nur einen sehr kleinen Teil zur Gesamtvitalität bei!

Mit einer überlegten Zuchtstrategie lassen sich die Voraussetzungen für Vitalität und großen Heterosis-Effekt jedoch deutlich erhöhen, gegenüber dem blossen Vermehren (wie beim "Zusammenlaufen lassen etc.).

Das Verständnis der Zusammenhänge rund um die Vitalität sind der Schlüssel zur erfolgreichen Zucht!

Grüße
Meinolf
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