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Alt 20.01.2001, 07:31
Tiberius Mohr, Tierarzt
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Standard RE: Tränendes Auge

Ohne die Taube untersucht zu haben kann ich über die Ursache nur mutmaßen. Wenn ich raten sollte, würde ich auf eine Trichomonaden- oder Chlamydieninfektion tippen. Für beide typisch ist
— das einseitige Tränen,
— das Fehlen der Symptome bei den Schlaggenossen,
— die fehlende Eiterbildung (bei einem anderen bakteriellen Erreger hätten Sie nach 10 Tagen den Eiter sicherlich bemerkt und erwähnt) und
— die fehlende Besserung nach Streptomycin (= CX 60), sowohl Trichomonaden als auch Chlamydien sind gegen Streptomycin unempfindlich. Vielleicht hat er aber auch nur ein Sandkorn unter dem Augenlid sitzen oder hat sich sonstwie verletzt.
Sollten in den Tränen-Nasen-Gang eingewanderte Trichomonaden die Ursache sein (die den Kanal dann verstopfen), sind mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch andere Tauben infiziert, die aus der selben Tränke getrunken haben.

Vor nicht allzu langer Zeit habe ich eine ähnliche Frage für Lutz771 beantwortet, siehe dort.

Bemerkung:
Streptomycinhaltige Präparate sind für Tauben kontraindiziert.
Bei allen Vögeln schädigt Streptomycin UNUMKEHRBAR den Nervus cochlearis im Innenohr. Zusätzlich treten speziell bei Tauben (Tauben sind gegenüber Streptomycin besonders empfindlich!) Koordinationsstörungen, Atemnot und Nierenschäden auf.
In geringer Dosierung treten die Symptome nicht sichtbar auf, aber Schäden bleiben immer zurück. Je nach Dosierung hat Ihr Freund einen guten Reisevogel gehabt. Wenn der Vogel wirklich so gut war, würde ich ihn in die Zucht setzen, die Gefahr, daß er verloren geht, wäre mir zu groß. Und merken: nie Streptomycinpräparate bei Tauben anwenden!

Sicher werden Sie sich jetzt fragen, wie ein Streptomycinpräparat die Zulassung für Tauben bekommen konnte. Es handelt sich dabei immer um Präparate mit einer alten Zulassung, die nach Ablauf nicht mehr erneuert wird. Heute würde CX 60 die Zulassung für Tauben mit Sicherheit nicht mehr bekommen, das Problem ist seit ca. 15 Jahren bekannt.

Ihr Beitrag zeigt wieder einmal deutlich, wie wichtig es ist, mit einer kranken Taube zum Tierarzt zu gehen und nicht auf Verdacht „irgendwas“ zu verabreichen, auch dann nicht, wenn dieses „Irgendwas“ (vor Urzeiten) die Zulassung für Tauben bekommen hat — damals wußte man es eben nicht besser, das ist aber kein Grund, die Fehler jahrzehnte lang zu wiederholen.

Tiberius Mohr
(habe es aus Zeitgründen nicht früher geschafft...)
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