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Alt 08.06.2014, 15:36
Berger Berger ist offline
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Standard immer noch sehr aktuell! Erschienen im Taubenmarkt September 2010

Versorgung der Tauben im Kabi,
oder die Körpertemperatur und Temperaturregulation unserer Brieftauben!



Das Reisejahr 2010 war in einigen Reisevereinigungen bzw. Regionalverbänden durch schwierige Flüge und in der Folge durch zahlreiche Diskussionen um Flüge, Wetterbedingungen, Entfernungen, Meisterschaftsbedingungen usw. geprägt. Auch im Regionalverband 100 Schleswig-Holstein hatten gleich zu Beginn des Reisejahres einige RVen Katastrophenflüge zu beklagen.

Ende Juni rief mich der 1. Vorsitzende des Regionalverbandes 100, Herr Uwe Witt mit der Frage an, ob ich anlässlich einer regionalen Flugleitersitzung am 21. Juli 2010 über die Versorgung der Tauben im Kabi referieren könnte. Er erläuterte mir dazu, dass er im Rückblick der schwierigen Flüge im Frühjahr und vor allem im Hinblick auf die kommende Jungtiersaison das in seinem Rahmen mögliche machen möchte, um erneute Katastrophen in „seinem“ Regionalverband zu begegnen.

Weitere Referenten waren Herr Dr. Matthias Warzecha und unser Oberflugleiter für die Südrichtung. Spontan gab ich Herrn Uwe Witt meine Zusage, diese Aufgabe zu übernehmen.

Allerdings habe ich mir erst einige Tage später, nachdem ich die offizielle Einladung zur Sitzung erhalten hatte, Gedanken zum möglichen Inhalt meines Themas „Die Versorgung der Tauben im Kabi“ gemacht. Was für neue Erkenntnisse kann ich als diplomierter Biologe, Geschäftsführer einer Firma die im Taubensport weltweit vertreten ist und dabei selbst aktiver Taubenzüchter noch an die langjährigen und erfahrenen Flugleiter und Fahrer vermitteln? Eine nicht ganz einfache Sache, denn ich will ja auch nicht über „Banalitäten“ referieren.

Im Anschluss an den Vortrag, der durch viele Diskussionsbeiträge und Nachfragen aus dem Auditorium begleitet war, bat mich Dr. Warzecha diesen als Artikel für die Allgemeinheit zu veröffentlichen. Im Folgenden möchte ich nun die für mich wichtigsten Inhalte vorstellen.

Da wir in Ende Juni wahrlich tropische Temperaturen hatten und ich an der Goethe Universität in Frankfurt im Arbeitskreis „Stoffwechselphysiologie“ von Professor Roland Prinzinger mit dem Schwerpunkt Thermoregulation bei Vögeln und Anpassung an extreme Lebensräume studierte, habe ich das Thema „Versorgung im Kabi“ unter der Betrachtung der Körpertemperatur und Temperaturregulation ausgearbeitet.

Sie dürfen diesen Artikel nicht als wissenschaftliche Veröffentlichung betrachten. Dafür wäre der Aufwand alle Quellen anzugeben, eine aktuelle Literaturrecherche durchzuführen usw. für mich zu groß gewesen. Dennoch sind die Daten, die ich in der Folge nenne aus diversen wissenschaftlichen Quellen (Fachliteratur bzw. Fachzeitschriften) entnommen.


Körpertemperatur und Temperaturregulation

Die Brieftaube sind wie alle Vögel so genannte endotherme Organismen. Das bedeutet, dass die Körpertemperatur weitgehend gleichmäßig und konstant gehalten werden kann. Diese Aussage bezieht sich immer auf die so genannte Kerntemperatur und bezeichnet dabei die Temperatur der lebenswichtigen inneren Organe. In der Peripherie, also an den Extremitäten oder die Oberflächentemperatur der Haut ist in Abhängigkeit zur Umgebungstemperatur (UT) immer geringer.

Die durchschnittliche Körpertemperatur der Vögel liegt mit 41-42°C deutlich höher als die des Menschen (35,8-37,2°C). Dies ist z.B. auch ein Grund dafür, warum wir ein Wärmegefühl haben wenn wir Tauben in der Hand halten und dabei die Temperatur der Füße oder Brustmuskeln fühlen.

In der Ruhephase sinkt die Körpertemperatur von Tauben auf ca. 37-38°C. In dieser Phase findet ein Erhaltungsstoffwechsel statt und die Wärmeproduktion ist reduziert. Es sei denn die UT sinken unter 20°C. Dieser Wert gilt für Tauben und wird als untere kritische Temperatur der Thermoneutralzone bezeichnet.

Dazu kurz eine Erklärung des Begriffes Thermoneutralzone. Die Thermoneutralzone gibt den Bereich von UT an, in dem sich die Stoffwechselrate ruhender endothermer (gleichwarmer) Tiere auf dem Grundniveau befindet (= Grundumsatz). Siehe dazu auch die zugehörige Abbildung.

Wenn es eine unter kritische Temperatur gibt, klar dann gibt es auch eine obere! Innerhalb der unteren und oberen kritischen Temperatur kann ein „Endothermer“ durch verschiedene Regulationsmechanismen (u.a. Isolation, Durchblutung der Haut) eine konstante Körpertemperatur aufrechterhalten ohne zusätzliche Energie dafür zu verbrauchen. Dies ist eine wichtige Information, denn sie beschreibt einen Temperaturbereich der energetisch als besonders günstig zu betrachten ist. Für die Taube Columba livia ist die Thermoneutralzone zwischen 20-28°C beschrieben.

Ist die Umgebung kälter, also unter 20°C muss die Taube Wärme produzieren. Das kostet Energie und macht sich in der Energiebilanz bemerkbar. Bei UT über 28°C, und die waren in diesem Sommer für uns von großer Bedeutung, muss die Taube aktiv und energieaufwändig „kühlen“, um überschüssige Wärme abzugeben.


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Die „Kühlung“ als Funktion der Temperaturregulation ist sehr wichtig, denn in der Literatur sind für die Taube Körpertemperaturen bis 46°C als kritisches thermisches Maximum beschrieben, also letal bzw. tödlich. Daher muss die Taube überschüssige Wärme möglichst effizient loswerden.

Womit wir bei der Temperaturregulation der Taube angekommen sind. Um eine Unterkühlung entgegen zu wirken kann die Taube Wärme produzieren. Wir wissen dies, denn sonst könnten wir die Tauben nicht bei Dauerfrost bis unter 20°C und kälter halten. Wir wissen auch, dass die Tauben dann mehr Energie verbrauchen, denn der Hunger zeigt uns eindrucksvoll den erhöhten Energiebedarf was sich ja auch einfach durch eine erhöhte Futtermenge decken lässt. Je kälter es ist, umso mehr Energie wird also verbraucht. Ab einer UT von 20°C kann durch eine Veränderung der Isolation, Konduktion (direkter Wärmeaustausch durch Wärmeleitung), Konvektion (Wärmetransport durch Bewegung, Luftstrom) oder Radiation (Wärmestrahlung) die Körpertemperatur ohne extra Energieaufwendungen konstant gehalten werden.

Oberhalb der 28°C muss dann unter energetischem Aufwand Wärme vom Körper abtransportiert werden. Der effektivste Weg Wärme abzugeben ist über die Evaporation (Verdunstungswärme). Dies kennen wir selbst sehr gut durch das Schwitzen. Nun haben Vögel aber keine Möglichkeit des Schwitzens, da diese keine Schweißdrüsen besitzen. Als besonders ökonomischen Weg können die Vögel daher durch starkes Hecheln effektiv sehr viel Wärme als Verdunstungswärme abgeben. Dabei atmen die Tauben mit einer sehr hohen Frequenz und zugleich aber geringem Atemvolumen.

Wenn Tauben bei etwas höheren UT nach dem Freiflug „Hecheln“, so ist dies eine physiologisch völlig normale Reaktion. Es stellt kein Krankheitssymptom dar. Denn nur über das Hecheln können die Vögel die durchs Fliegen überschüssig produzierte Wärme effektiv abgeben!

Es ist auch klar, dass beim Fliegen sehr viel Wärme produziert wird. Je höher die UT sind, umso weniger effektiv kann aber durch Konduktion und Konvektion Wärme abgegeben werden. Deswegen wird bei höheren Temperaturen die Evaporation immer wichtiger. Aus Windkanalversuchen wissen wir auch, dass Tauben bei einem Wasserverlust von 3-4% der Körpermasse (13-18 ml) das Fliegen einstellen. Aus einer anderen Untersuchung ist bekannt, dass Tauben bei einem Wasserverlust von 4-5% der Körpermasse Wasser aufnehmen. Ein Wasserverlust von 10% der Körpermasse bedeutet für Tauben bereits eine letale Menge. Daher muss es jedem verantwortlichem klar sein, dass der Wasserverlust ein besonders begrenzender Faktor für das Fliegen, aber auch für den Transport im Kabinentransporter (Kabi) ist.
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