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Alt 05.01.2022, 21:44
OOO OOO ist offline
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Zitat von Dennis Beitrag anzeigen
Ich habe mich damals auch mal mit den Publikationen zu dem Thema beschäftigt, fand die wissenschaftliche Qualität aber damals eher enttäuschend und kaum aussagefähig. In der so häufig genannten polnischen Arbeit zum LDHA-Gen wurden zum Beispiel vier Taubengruppen aus unterschiedlichen Herkünften untersucht (wenn ich mich richtig erinnere waren es Leistungstiere unterschiedlicher Herkunft, ein ungereister Versuchsschlag der Uni, Stadttauben und Rassetauben). Bei diesen hat man dann die unterschiedlichen LDHA-Allele in unterschiedlichen Anteilen gefunden und daraus geschlossen, dass diese für die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der Gruppen mitverantwortlich sein müssen.
Hallo Dennis,
ja, also bezüglich der frühen Veröffentlichungen von z.B. 2006 trifft diese Kritik sicher zu, obwohl ich es dennoch anerkennend würdigen wollen würde, dass z.B. Dybus und Proskura sich mit dem Thema Brieftauben überhaupt beschäftigen. Später haben andere Veröffentlichungen jedoch schon ein bischen mehr Fleisch an den Knochen gebracht. Die Zahlenbasis der Taubengruppen, die insgesamt in derartigen Artikeln untersucht wurden, beträgt schon ein paar hundert Tiere. Und die waren dann auch wirkliche Reisetauben und wurden z.B. wirklich auf ein Kriterium ihre Reiseleistung betreffend hin untersucht (also nicht nur Schlüsse á la: hohe Allel-Frequenz in Brieftaubenpopulation versus Tümmler bedeutet Beleg für mehr Leistung).


Das Muster, dass das LDHA A Allel dann mit positiver Leistung korreliert, wurde dabei tatsächlich jeweils statistisch signifikant gefunden (zumindest bei Tieren auf kürzeren Flugdistanzen (so bis 400km), auch die Masterarbeit von Rombouts, die ich im ersten Post verlinkt habe, findet ja wieder Ähnliches.


Aber auch diese Veröffentlichungen kann man natürlich mit kritischem Auge betrachten und dadurch relativiert sich auch wieder ein Teil. Wenn ich nämlich nur Leistungstauben betrachte und unter diesen einen erhöhten Anteil dieser Gene finde (so wie Rombouts es machte), dann ist dieser Fund noch nicht gleichbedeutend mit der Aussage, dass man mehr solcher Leistungstiere in den Bestand bekommt, wenn man sich bei der Zucht auf Tiere, die so eine Genvariante in sich tragen, beschränkt. Denn um letztere Aussage zu stützen, müsste ich ja alle je gezogenen Tauben mit in die Betrachtung aufnehmen, und nicht nur die Leistungsträger betrachten. Nur dann würden Effekte wie z.B. ein erhöhtes Verlustrisiko solcher Tiere ja mit in die Bewertung eingehen und mir Informationen zum potentiellen Erfolg einer solchen Zuchtstrategie liefern.



Denn wo wäre am Ende der Unterschied, wenn ich beispielsweise 2 Leistungstiere unter 100 Tieren ohne solche Gene züchte, und ich behalte am Ende 50 Tiere übrig (macht 1 übrig behaltenes Leistungstier).
Oder ich züchte 4 Leistungstiere unter 100 Tieren mit solchen Genen, aber behalte am Ende nur 25 davon übrig (macht dann nämlich ebenfalls nur 1 Leistungstier im Bestand! Der zählbare Erfolg solch einer fiktiven "Zuchtstrategie" wäre dann nämlich gleich Null, bis auf die deutlich höheren Verluste)



Aber es gibt auch noch weitere Veröffentlichungen, die die "LDHA A-Allel ist leistungsförderlich" These stützen.

z.B. in dieser Veröffentlichung von Proskura findet sich ebenfalls der beschriebene Effekt. Doch viel stärker war ein Effekt auf die Leistung, den man quasi als Beifang und ebenso wichtige Erkenntnis dieser Studie ansehen kann: Das Geschlecht trägt in der untersuchten Taubengruppe deutlich zur Leistung der Tauben bei, denn Weibchen scheinen den Daten zu Folge gegenüber Männchen im Vorteil zu sein, und das nicht nur auf den kürzeren Distanzen, sondern auch bei den weiteren Flügen. Und um das Geschlecht festzustellen braucht man keinen teueren Gentest .


Die Skala auf die die Leistungsbewertung in dieser Veröffentlichung basiert, wäre ebenfalls zu kritisieren: Es ist die As-Punkte-Skala. Diese hängt aber leicht erkennbar nicht linear mit der erbrachten Flugleistung zusammen! Bei einem Flug, in dem das Feld sehr dicht eintrifft, haben fast alle Tiere eine sehr ähnliche Fluggeschwindigkeit geflogen und damit eine sehr ähnliche körperliche Leistung vollbracht. Dennoch bekommt z.B. ein 100. Konkurs in einem Feld von nur 200 Preistauben ja nur noch die Hälfte der As-Punkte des ersten Konkurses (aber er fliegt eben nicht nur halb so schnell!). Durch die Verwendung von As-Punkten als Leistungskriterium könnten dann also Tiere, die ähnlich schnell geflogen sind, aber ev. nur einmal schlechter "lagen" und deshalb mal z.B. nur 50 Flugmeter bei 1400 m/min schlechter waren, deutlich abgewertet werden. Besser zur Leistungsbeurteilung wären daher hier ggf. die Flugmeter gewesen, sofern die in die Wertung gekommenen Wettflüge einigermaßen jeweils reibungslos verliefen.



Aber egal. Irgendwas ist ja immer, und ev. sind solche Verzerrungen ja auch zufällig verteilt und damit dann auch nicht so relevant für das Ergebnis. Am besten wäre es wohl, das Feld eines großen One-Loft Races zu analysieren. Da sollten solche Umwelteffekte ev. besser zu kontrollieren sein.


Und trotz all solcher Kritikpunkte denke ich, nach allem, was ich hierzu gefunden habe, dass das LDHA A-Allel tatsächlich einen Effekt hat, der zu einer höheren Leistung auf kürzeren Distanzen führen kann. So schlecht sind die vorliegenden Arbeiten dann doch nicht.


Dybus hat dann in 2018 auch mal versucht, sich dem physiologischen Effekt des A-Allels des LDHA Gens im Vergleich zum Naturtyp zu nähern (siehe hier). Der Polymorphismus befindet sich hier nämlich nicht auf dem Gen selber, sondern auf der die Genaktivität beeinflussenden Intron-Sequenz. Und es wurde tatsächlich eine leicht höhere Genaktivität bei dem A-Allel gegenüber dem Naturtyp festgestellt, was tatsächlich eine bessere Verstoffwechselung in der Atmungskette zur Folge haben könnte. Aber auch hier gibt es dann wieder einen Haken in der Erkenntnis: Die Individuen die Heterozygot mit dem A-Allel ausgestattet sind, zeigten die höchste Genaktivität und eben nicht die homozygoten AA Träger. Wenn also die Genaktivität hier der (alleinige) Schlüssel zur Erklärung wäre, warum sich ein A-Allel positiv auf die Leistung auswirkt, dann hätten die Homozygoten die höchste Aktivität zeigen müssen, denn die waren ja zuvor in anderen Veröffentlichungen als die Individuen mit den höchsten Leistungen identifiziert worden.


Somit: Nix Genaues weiß man nicht .


Und das ist auch gut so, denn sonst wäre es ev. bald ein Hobby, das diejenigen dominieren, die am meisten Geld in die genetische Bewertung ihrer Tauben stecken würden.



So aber ist es eines, wo JEDER es schaffen kann, wenn er einfach nur gesunden "Taubenverstand" und Liebe für seine Tiere besitzt.


In diesem Sinne.


Viel Spass mit euren Tieren
Meinolf
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"Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben." Alexander von Humboldt

Geändert von OOO (05.01.2022 um 22:04 Uhr)
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