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  #1  
Alt 22.10.2003, 08:54
Pampeia
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Standard Eine Frage zu Tauben - literaturwissenschaftlicher Art

Hallo liebe Taubenzüchter,

ich habe eine Frage zu Tauben, die wirklich ernst gemeint ist - obwohl sie nichts mit Züchten im weitesten Sinn zu tun hat.

Ich schreibe an der Uni Düsseldorf gerade meine Zwischenprüfungshausarbeit im Fach Neuere germanistische Literaturwissenschaft. Thema ist ein Gedicht der Autorin Gertrud Kolmar, in dem auch diese Zeile vorkommt:

"Sterbender Glanz aus dem Flügel der Taube".

Nun rästle ich schon seit Monaten (!), was damit gemeint sein könnte, aber sämtliche germanistische Fachliteratur bringt mich nicht weiter. Auch die Sekundärliteratur lässt in den Besprechungen des Gedichts gern diese Zeile aus.

Haben Sie mit Ihrer Praxiserfahrung eine Idee, was damit gemeint sein könnte? Es ist nicht auszuschließen, dass Gertrud Kolmar sich mit Tauben ausgekannt haben könnte - genaues weiß man aber nicht.

Ich freue mich sehr, wenn Sie mir mit einem Tipp ein bisschen bei der Analyse des Gedichts helfen könnten!

Freundliche Grüße vom Niederrhein

Tabea Reiffert
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  #2  
Alt 22.10.2003, 13:59
Panterken Panterken ist offline
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Registriert seit: 28.04.2002
Ort: Höxter
Beiträge: 104
Standard Re

Hallo Tabea!

Du müsstest vielleicht etwas mehr Preis geben von dem Gedicht, damit man den Zusammenhang besser verstehen kann.

Sterbender Glanz aus dem Flügel der Taube-...zuerst denke ich da an die Mauser, weil die Taube durch den Verlust ihrer Federn auch den Glanz im Flügel verliert...aber sterben....hmmm...man müsste vielleicht mehr von dem Gedicht wissen...

Gruß

Panterken
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  #3  
Alt 22.10.2003, 14:06
Benutzerbild von Mime
Mime Mime ist offline
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Registriert seit: 04.08.2002
Ort: Warstein
Beiträge: 2.249
Standard RE: Eine Frage zu Tauben ...

Ich kopiere das Gedicht mal hier rein:

Die Jüdin

Ich bin fremd.

Weil sich die Menschen nicht zu mir wagen,
Will ich mit Türmen gegürtet sein,
Die steile, steingraue Mützen tragen
In Wolken hinein.

Ihr findet den erzenen Schlüssel nicht
Der dumpfen Treppe. Sie rollt sich nach oben,
Wie platten, schuppigen Kopf erhoben
Eine Otter ins Licht.

Ach, diese Mauer morscht schon wie Felsen,
Den tausendjähriger Strom bespült;
Die Vögel mit rohen, faltigen Hälsen
Hocken, in Höhlen verwühlt.

In den Gewölben rieselnder Sand,
Kauernde Echsen mit sprenkligen Brüsten -
Ich möcht eine Forscherreise rüsten
In mein eigenes uraltes Land.

Ich kann das begrabene Ur der Chaldäer
Vielleicht entdecken noch irgendwo,
Den Götzen Dagon, das Zelt der Hebräer,
Die Posaune von Jericho.

Die jene höhnischen Wände zerblies,
Schwärzt sich in Tiefen, verwüstet, verbogen;
Einst hab ich dennoch den Atem gesogen,
Der ihre Töne stieß.

Und in Truhen, verschüttet vom Staube,
Liegen die edlen Gewänder tot,
Sterbender Glanz aus dem Flügel der Taube
Und das Stumpfe des Behemoth.

Ich kleide mich staunend. Wohl bin ich klein,
Fern ihren prunkvoll mächtigen Zeiten,
Doch um mich starren die schimmernden Breiten
Wie Schutz, und ich wachse ein.

Nun seh ich mich seltsam und kann mich nicht kennen,
Da ich vor Rom, vor Karthago schon war,
Da jäh in mir die Altäre entbrennen
Der Richterin und ihrer Schar.

Von dem verborgenen Goldgefäß
Läuft durch mein Blut ein schmerzliches Gleißen,
Und ein Lied will mit Namen mich heißen,
Die mir wieder gemäß.

Himmel rufen aus farbigen Zeichen.
Zugeschlossen ist euer Gesicht:
Die mit dem Wüstenfuchs scheu mich umstreichen,
Schauen es nicht.

Riesig zerstürzende Windsäulen wehn,
Grün wie Nephrit, rot wie Korallen,
Über die Türme. Gott läßt sie verfallen
Und noch Jahrtausende stehn.
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  #4  
Alt 22.10.2003, 15:20
Federfuss
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Beiträge: n/a
Standard RE: Eine Frage zu Tauben

Hallo Frau Reiffert,

erlauben Sie mir bitte vorab eine kurze Darstellung für die anderen Forumsteilnehmer.

Gertrud Kolmar (jüdische Lyrikerin)
Für ihre erste Publikation, ein Bändchen Gedichte, wählt sie erstmals das Pseudonym Gertrud Kolmar (was sich von dem Ort Chodziez in Posen herleitet, woher die Vorfahren ihres Vaters stammen). 1934 erscheint ihr Gedichtzyklus Preußische Wappen und 1938 der Band "Die Frau und die Tiere". Die intensive Beziehung der Dichterin zur Natur, zu Pflanzen und insbesondere zu Tieren, spricht aus vielen ihrer lyrischen Werke. „Worte möcht ich, die so einfach sind / Wie ein Sonnenglanz, wie Wald und Wind.“ („Stolz“)

Gertrud Kolmar liebte Tiere - sie kannte Tiere!

Weil sie auch die Tauben kannte schrieb sie diese Zeile:
"Sterbender Glanz aus dem Flügel der Taube"
Hiermit, liebe Frau Reiffert, meint die Dichterin die Mauser der Tauben!
Im Herbst wechseln die Vögel ihr Federkleid, dann sehen sie gerupft und matt aus.
Im Herbst stirb ihr Glanz!
Nach der Mauser, vorallem im Frühjahr, erstrahlt ihr Glanz dann in voller Pracht. Die Tauben blinken wieder.

Worte möcht ich, die so einfach sind

Wenn ich Ihnen eine Hilfe war, so würde es mich freuen!

Viele Grüsse
Horst Heuter
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  #5  
Alt 22.10.2003, 23:02
Pampeia
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Beiträge: n/a
Standard RE: Eine Frage zu Tauben

Hallo liebes Forum,

vielen Dank für die Hinweise - ich weiß zwar noch nicht, wie ich Ihre Antworten in meine Interpretation einbauen soll, aber mir fällt da bestimmt etwas ein

Ich habe bewusst nur diese Zeile veröffentlicht und nicht das ganze Gedicht und auch keinen biografischen Abriss, weil ich nicht wusste, wie das Thema bei Ihnen ankommt. Aber ich finde es sehr gut, dass Sie's gemacht haben und es trägt sicher dazu bei, die Zeile leichter zu verstehen.

Panterken, deinem Wunsch mehr zu erfahren komme ich gerne nach:

Das Gedicht "die Jüdin" stammt aus dem Band "Die Frau und die Tiere" und ist im Zyklus "Weibliches Bildnis" im ersten von vier Räumen enthalten. Der Zyklus stellt die unterschiedlichsten Frauengestalten vor, oft auch die ausgegrenzten. Und so ist auch "Die Jüdin" zu verstehen: Gertrud Kolmar schrieb das Gedicht Mitte der 30er Jahre im deutlich spürbaren Nationalsozialismus und 1938, im Erscheinungjahr von "Die Frau und die Tiere", wurde Kolmar enteignet und zwangsumgesiedelt. Gertrud Kolmar starb im Frühjahr 1943 vermutlich in Auschwitz.

Ihr Werk ist sehr eng mit ihrer Biografie verbunden und so denke ich, dass das Gedicht einerseits Ausdruck der Isolation im Dritten Reich und andererseits ihrer Hinwendung zum Judentum ist, das ihr - je schlimmer die Shoah wurde - viel Hoffnung, Halt und Durchhaltevermögen gab.

Zunächst beschreibt sie in den Strophen 1 - 4 ihren (persönlichen?) Zustand, verdeutlicht im Bild der hohen, aber maroden Türme. Dann folgen Ereignisse aus Isarels großer und glänzender (!) Geschichte (Ur, die Geburtsstadt Abrahams; Eroberung Jerichos; Dagon, der der Macht der Bundeslade unterliegt usw.). Aber das Gedicht nimmt eine negative Wendung: Die Posaune Jerichos wird verwüstet und verbogen, die Gewänder liegen tot und verstaubt in Truhen und dann "sterbender Glanz aus dem Flügel der Taube". (Behemoth übrigens steht im Hebräischen für "Tiere", gemeint ist in der Bibelübersetzung - je nach Ausgabe - ein Nilpferd. Später wurde Behemoth als mystisches Tier verstanden, im Mittelalter auch als Synonym für Satan.)

Ihr Hinweis, Herr Heuther, dass die Taube in der herbstlichen Mauser an Glanz verliert ist aus zwei Gründen sehr wertvoll, interessant und passt auch in meinen Interpretationsansatz:
1. Die allgemeine Bedeutung des Herbstes in der Lyrik, als Symbol für Vergehen, Zerfallen, Sterben - aber ohne Endgültigkeit! - und
2. die Mauser, in der die Vögel gerupft und matt aussehen (und auch eingeschränkt flugfähig sind, oder?) --

Ich wage deshalb die These, dass dieses Bild die Lage des jüdischen Volkes während der Shoah darstellen kann:

Die glänzende Geschichte Israels ist vorbei, das unterdrückte Volk, deportiert und erniedrigt, verliert seinen Glanz und kann sein reiches kulturelles Leben nicht weiterführen, es ist auch eingeschränkt handlungsfähig. Aber - wie der Herbst - ist dieser Zustand aus Kolmars Sicht nicht andauernd, sondern wird überwunden. Das zeigt die letzte Strohe des Gedichts: "Gott lässt sie [die Türme]zerfallen und noch Jahrtausende stehen."

Eine zweite Möglichkeit ist eine Verbindung mit Psalm 55, einem Klagelied, das innere Not überdeutlich zeigt: "Mein Herz ängstigt sich in meinem Leibe,/und Todesfurcht ist auf mich gefallen. / Furcht und Zittern ist über mich gekommen,/und Grauen hat mich überfallen. / Ich sprach: O hätte ich Flügel wie Tauben,/dass ich wegflöge und Ruhe fände!" (Vers 5 - 7)
Hier ist die Not individueller zu sehen, vielleicht ist es Gertrud Kolmar selbst, die aus ihrer Situation fliehen möchte, aber "sterbender Glanz aus dem Flügel der Taube", die Mauser also, verhindert dies. "Und das Stumpfe des Behemoth", gesehen als Trägheit eines großen Tieres, hält sie ebenfalls in dieser Lage fest.

---------------

Ich hoffe, ich habe Sie alle nicht mit meinen Ausführungen gelangweilt. Aber beim Schreiben entwickeln sich die Gedanken so wunderbar und in diesem Fall hat es mich in meiner Arbeit ein ganzes Stück nach vorn katalpultiert. Herzlichen Dank für Ihre Hinweise!

Ich bin gespannt, wie Sie meine Idee finden. Nach allem was Sie wissen: Passt sie ins Gesamtbild? Und ist sie plausibel? Es wäre toll, wenn Sie antworten würden.

Ich weiß zwar, dass das Forum für Züchter gedacht ist und ich mich auf schmalem Grat bewege. Doch ich bitte Sie, mir diesen Thread zu gestatten. Bis hierhin hat es sich für mich durch Ihre Mithilfe weitaus mehr gelohnt als ich es zu hoffen wagte. Und ungewohnte Wege sind oft die besten, um ans Ziel zu gelangen: In meinem Fall ist das Ziel eine gute Prüfungsarbeit mit einer hoffentlich guten Note.

Ich wünsche Ihnen allen eine gute Nacht und einen schönen Morgen

herzliche Grüße

Tabea Reiffert
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  #6  
Alt 23.10.2003, 10:46
Panterken Panterken ist offline
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Beiträge: 104
Standard RE: Eine Frage zu Tauben

Hallo, Tabea!

Hört sich doch ganz vernünftig an, deine Deutung, wobei mir deine erste Möglichkeit persönlich besser gefällt und realistischer erscheint.

War jedenfalls interessant zu lesen. Dass man sowas nachts um 1 noch schreiben kann...Hut ab .

Es freut mich, wenn wir "doofen" Taubenzüchter dir weiterhelfen konnten. Wenn du also wieder mal Fragen bezüglich Tauben hast, weißt du, an wen du dich wenden kannst .

Also...ich wünsche dir viel Erfolg bei der Arbeit und für deine Zukunft alles Gute.

Gruß

Panterken
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  #7  
Alt 23.10.2003, 12:21
FranzJosef FranzJosef ist offline
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Ort: Künzelsau
Beiträge: 1.038
Standard RE: Eine Frage zu Tauben

Hallo Panterken,

wenn Du Dich als "doofer Taubenzüchter" bezeichnest, dann magst Du für Deinen Teil vielleicht recht haben, lass aber bitte die Anderen aus dem Spiel.
Ich persönlich fasse dies als Beleidigung auf !!!!!, deshalb bitte ich dies in Zukunft zu unterlassen.
Da muss man sich dann nicht wundern wenn das Allgemeinbild des Taubenzüchters schlechthin in der Öffentlichkeit am Boden klebt !!!!

Welche Interessensgemeinschaft bezeichnet sich im Internet als "doof" ???

FranzJosef
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  #8  
Alt 23.10.2003, 12:50
Alex
Gast
 
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Standard RE: Eine Frage zu Tauben

Hä??? Aus meiner Sicht kein Grund irgendwelche Spitzen reinzubringen, F-J!!! Paterken hat das "doofen" doch in "" gesetzt. Will soviel heißen, wie: die Taubenzüchter sind nicht so dumm, wie das Allgemeinbild manchmal in der Öffentlichkeit ist...
Also hat der uns nicht negativ dargestellt, sondern positiv!
Wie Du dann beleidigt sein kannst ist mir schleierhaft...
Das Mißverständnis (!?) Deinerseits sollten jetzt andere beurteilen
oder einfach Du selber.
Nichts für Ungut!

Gruß
Alex
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  #9  
Alt 23.10.2003, 13:15
Panterken Panterken ist offline
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Registriert seit: 28.04.2002
Ort: Höxter
Beiträge: 104
Standard RE: Eine Frage zu Tauben

Danke, Alex!

Für den Beitrag von F-J erspare ich mir jede Kommentierung.

Schönen Tag noch

Panterken
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  #10  
Alt 23.10.2003, 13:28
Pampeia
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard RE: Eine Frage zu Tauben

Hallo Panterken,

lieben Dank für dein Feedback! Dass Taubenzüchter nicht doof sind, weiß ich von Kindheit an, schließlich lebe ich nicht weit weg vom Ruhrgebiet und habe schon das ein oder andere mitbekommen. Außerdem hätte ich mich nie zu fragen getraut, wenn eure gesamte Internetseite nicht super ansprechend gestaltet und informativ gewesen wäre - was ich da alles im Bereich Taubenmedizin rund ums Gefieder gelernt hab!

Ich gehe in den nächsten Tagen in Klausur und schreibe meine Arbeit fertig - nachts kann ich meistens am besten arbeiten ...
Heute Vormittag habe ich bei meiner Arbeit (so ein Studium will ja finanziert sein) noch über einiges nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen:

Von euch habe ich den Schlüssel zum Verständnis des gesamten Gedichts erhalten! Dafür ein großes Lob und ein ganz herzliches Dankeschön! Meine Arbeit erhält deshalb vorassichtlich den Titel "Sterbender Glanz aus dem Fügel der Taube. Die biblischen Bezüge in Gertrud Kolmars Gedicht ,Die Jüdin'".

Wenn's euch recht ist melde ich mich spätestens wieder, sobald ich meine Arbeit benotet habe. Gespräche mit Komilitonen zeigen, dass sie wohl wirklich ganz gut werden kann

Liebe Grüße an alle und für weiteres Feedback bin ich jederzeit offen und auch schon gespannt darauf!

Tabea Reiffert
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