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  #41  
Alt 01.04.2010, 13:42
OOO OOO ist offline
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Zitat:
Zitat von Rausch Beitrag anzeigen
...kein perönlicher Angriff an Dich, von meiner Seite auf keinen Fall - um Gotteswillen!...
Schon OK. Ich finde es einfach nicht toll wenn ich "theoretischer Schwafler" genannt werde, ist wohl so eine Eigenart von mir

Nochmal zum Heterosis-Effekt und dem anderen hier zum Thema gesagten:

Schau dir in der Vorlesung der Uni Bern (erster Link) mal die Folie 22 an. Sie verdeutlicht das, worauf ich hier abgezielt habe:

Was wir als Leistung einer Taube kennen, ist die Leistung des Phänotyps (P in der Folie). Diese wird aber zu unserem Leidwesen nicht ausschließlich durch genetische Eigenschaften bestimmt (G in der Folie) sondern auch durch Umwelteffekte (U in der Folie).
Die Umwelteffekte können wir aber durch Zucht nicht verbessern. Und so kann es passieren, dass auch genetisch tolle Tauben dennoch mal nur mässige Leistung bringen, oder genetisch mässige Tauben auch mal relativ gute Leistungen.

Da man in der Populationsgenetik, wie das Wort schon sagt, immer eine Population (also eine Gruppe von Tieren betrachtet, die sich paaren und zur nächsten Generation beitragen), formuliert man dort vieles so, dass man vom Mittelwert der Leistung einer solchen Population aus denkt und formuliert. Das macht das Verständnis etwas schwerer, ändert aber nichts an den Aussagen. In der Folie 22 wird daher der Wert für die genetisch bedingte Leistungsfähigkeit in den Mittelwert der Population (M in der Folie) und die individuelle Abweichung eines konkret betrachteten Tieres (G in der Folie) dargestellt.

Soviel zur grundsätzlichen Begrifflichkeit dieser Folie. Nun zu ihrer FUNDAMENTALEN AUSSAGE:

Die Leistungsfähigkeit eines Tieres setzt sich IMMER aus einem Anteil, der auf Umweltfaktoren zurück geht (U) und einem Anteil, der auf genetische Faktoren zurück geht zusammen. Doch diese genetischen Faktoren wirken nicht einheitlich. Es gibt die additiven Faktoren (A), es gibt die durch dominanz-Effekt bedingten Faktoren (D) und es gibt die epistatisch bedingten Faktoren (I).

Für eine maximale Leistungsfähigkeit sollten aber ALLE diese Faktoren möglichst "hoch" sein.

D und I zusammen bedingen einen Großteil dessen, was wir als Vitalität bezeichnen. Das dumme an beiden Faktoren ist, dass wir sie nur dadurch maximal bekommen, dass wir ein sehr abwechselungsreiches Genom haben. Ein abwechselungsreiches Genom macht aber die Vorhersagbarkeit des Zuchtergebnisses in der nächsten Generation leider geringer. Die Wahrscheinlichkeit für hohe D und I Faktoren ist bei Kreuzungstieren höher, als bei Inzuchttieren, eben weil zunehmende Inzucht die Variation im Genom vermindert. Dies wäre also ein starkes Argument immer nur zu kreuzen.

Dem gegenüber ist es aber so, dass wir durch die Zuchtwahl nur die additiven genetischen Faktoren (A) direkt (meint von einer Generation zu nächsten) verbessern können. Das heißt unsere Auswahl, wenn wir ein sehr gutes Reisetier in die Zuchtstecken, beruht ausschließlich auf der Hoffnung diesen Faktor A groß werden zu lassen. Denn D und I hängen leider kaum an der Konzentration guter Gene, sondern an der Art ihrer Mischung, die Zufalls-abhängig ist und daher ist auch deren Vererblichkeit leider sehr gering (siehe auch Folie 45, "Vitalität" und Fitnessfaktoren stehen unter niedriger Heritabilität, was geringen Vererblichkeit meint).

Zusammenfassend:
P= (Zufallsgröße I) + (Zufallsgröße D) + (durch Zuchtwahl steuerbare Größe A) + (Umweltfaktoren U, welche tw. auch zufällig sind, tw. Züchtergeschick)

Es ist also absolut kein Wunder, das wir immer glauben, Brieftaubenzucht sein nicht kontrollierbar und purer Zufall, weil tatsächlich einige wesentliche Faktoren vom Zufall abhängig sind.

Durch Inzucht versucht man nun die Wahrscheinlichkeit des Faktors A IN DER NACHZUCHT zu erhöhen, was, wenn man sich ausschließlich auf die absolut besten Tiere konzentriert, auch möglich ist. Und je höher die Inzucht ist, desto mehr additiv wirkende Gene werden gesichert auf den Nachwuchs übertragen (wichtig ist hier also die Perspektive aus Sicht des Nachwuchses). Es müssen natürlich die "guten" Gene sein, sonst bringt die Inzucht hier gar nichts. Und deshalb ist Inzucht ausschließlich mit dem absolut besten Material und nur bei konsequenter Selektion sinnvoll.
Der Nachteil, ja sogar das Dilemma ist es aber, dass ich mit zunehmendem Inzuchtgrad zwangsläufig die Faktoren D und I reduziere! Ich also irgendwann keinen maximalen Wert mehr für P erreichen kann, sprich die Leistung der Tiere abfällt.


Inzucht kann also ein Teil einer Zuchtstrategie sein, um die Reproduzierbarkeit des Zuchtergebnisses zu erhöhen. Sie darf aber nie der einzige Weg bleiben, da einem sonst irgendwann durch zu geringe Werte für I und D die Leistung wegbricht!


Um nun die Chance auf wirklich sehr gute Tauben möglichst hoch zu halten, wäre es doch toll, wenn wir auch ein wenig auf die Faktoren D und I Einfluß nehmen könnten, oder?

Und in der Tat. Wir können es, wenn auch nicht viel. Aber es gibt eben diesen als "Passer-Effekt" populär gewordenen Effekt. Denn es zeigt sich, dass manche Genotypen mit anderen Genotypen in der Kreuzung zu besonders hohen Werten für I und D führen. Wenn ich also z.B. bei einem anderen Züchter beobachte, dass bei ihm die Kreuzung aus Van-Loon mit Janssen sehr gut geklappt aht (und beides sind eben sogar Linien), dann kann ich von deren Erfahrung profitieren, in dem ich es ebenso bei mir probiere.

Ich erhöhe damit tatsächlich ein klein wenig meine Chancen. Meist ist natürlich keine Linie wie "van Loon" oder "Janssen" vorhanden, weil derartige Inzuchtstämme heute sehr selten sind, und eben bei direkt erfolgsorientierten Züchtern das Risiko schlechtere Leistung in sich bergen. Aber auch wenn man z.B. sieht, dass direkter Nachwuchs des "Olympiade 003" mit direktem Nachwuchs der Stammtauben van Dycks gute Nachzucht bei anderen brachte, lohnt es sich wirklich, dies auf dem eigenen Schlag zu kopieren!

(Bei mir auf dem Schlag hat das schon gut geklappt)

Über mehr als "klein wenig" kann man in der Taubenzucht eh nicht spekulieren. Aber dieses "klein wenig" macht ev. den Unterschied, der mich nach vorne bringt. Und warum sollte ich darauf verzichten es zu nutzen.

Gegen das Grundprinzip nur die Besten an einander zu paaren spricht all das Gesagte übrigens NICHT! Es gibt aber ev. Hilfestellung wenn es um die Frage geht welches Tier an welches andere zu Paaren ist. Und auch ein wenig mehr Verständnis dafür, warum aus mancher guten reisetaube später kaum noch etwas tolles in der Zucht fiel (bei ihr waren eben U, I, und D sehr groß, aber A leider nicht).

So, nun aber wirklich Feierabend mit meinen Monologen zu diesem Thema.

Grüße
Meinolf
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  #42  
Alt 01.04.2010, 14:07
OOO OOO ist offline
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Standard fehlende Worte

Zitat:
Zitat von OOO Beitrag anzeigen
...Durch Inzucht versucht man nun die Wahrscheinlichkeit des Faktors A IN DER NACHZUCHT zu erhöhen, ...
...Durch Inzucht versucht man nun die Wahrscheinlichkeit für einen reproduzierbar hohen Wert des Faktors A IN DER NACHZUCHT zu erhöhen, ...


PS:
Es ist übrigens abei allem Gesagten völlig egal, ob einem Züchter tatsächlich bewußt ist, was dort im Detail passiert, oder nicht!
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  #43  
Alt 01.04.2010, 18:44
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Seid gegrüßt Vitalienbrüder,
und allzeit ,bei Wind und Wetter eine gute Prise in der Liste.Beim Boxen
(las sich fast so)könnte Vitalität die Fanschaft des älteren Klitschko sein.
Sonst ist es ein Gummibegriff wie Freiheit,Gleichheit,Brüderlichkeit ,Armut,
Reichtum,Gerechtigkeit und pi pa po ,es kann doch jeder da hinein interpretieren,was gerade in den Kram passt.Bei den Tauben ,wie anderswo,
sehe ich Vitalität als komplexen Vorgang aus Umwelt und Genetik,wobei
Komplexität so intensiv ist das wir als Laien garnicht versuchen sollten da
aufzufasern.Schlagbedingungen zu optimieren und zu selektieren sind zwei
Seiten einer Medaillie.Mißerfolge auf die Genetik und damit dahin zu schieben
,wo die Tauben herstammen und nicht z.B. bei seinen Schlampereien
auf dem eigenen Schlag zu suchen paßt prima in das weitverbreitete
Taubenzüchterausredenunwesen.Es sollten sich allerhand für ihre Tauben
mehr ein Bein rausreißen,dann werden sie sich wundern wieviel Vitalität
in ihnen steckt.

Gut Flug
R.Kraege
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  #44  
Alt 01.04.2010, 19:05
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Jörch Jörch ist offline
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Hallo Krake,

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - na für mich ist das nicht PiPaPo. Und Gerechtigkeit schon gar nicht.... Aber ok, soooo oberflächlich hast Du es sicher auch nicht gemeint :-).
Es glaubt ja auch keiner, dass es das REZEPT gibt, mit dem man gute Tauben züchten kann. Mal davon abgesehen, dass man dann noch lange kein guter Trainer ist! Form schlägt Klasse. Eindeutig.
Wir hatten schon einige Tierchen mit 2x1. Konkurs. Ja, dachte ich , jetzt isses soweit, jetzt haben wir das Superass. Na, wenn Weibchen jung und jährig jeweils von 5 oder 6 Flügen 2x einen 1. Konkurs fliegen - dann fängt man natürlich das Träumen an...
Pustekuchen - keine schlechten Tauben, aber irgendwann mal weg.
Und deshalb habe ich mal ganz genau hingeguckt und heute weiss ich, welche Linie sehr zuverlässig ist und auch schnell sein kann. Und das heisst für mich, dass hier die Vererbung eine tragende Rolle spielt. Und diese Erkenntnis muß ich doch nutzen, oder?
Einer mittelmäßigen Taube kannst Du mit der Spachtel zehn Mal am Tag den Mist unterm Hinten wegkratzen, ihr Blitz geben und Ovator Top Energy.
Sie wird Dich irgendwann im Stich lassen. Auch wenn sie vorher zwei erste geflogen hat... Klar holt auch manche der Habicht. Aber wenn sie mal
6, 7 Stunden in der Luft sind, da trennt sich die Spreu vom Weizen. Ganz klar.

Grüße, Jörg
__________________
"Jeder hat ´nen Vogel"
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  #45  
Alt 01.04.2010, 20:06
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Rausch Rausch ist offline
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Zitat:
Zitat von Pfaelzer Beitrag anzeigen
Hallo Hans,
guter Beitrag.

Einen hätte ich noch und das ist mir in meinen vielen Jahren Brieftaubenzucht aufgefallen.

Die wenigen Tauben die im Alten von 8 - 15 Jahren noch gute (ich meine den Flieger-Sieger und nicht die 8 Preistaube) bringt.

Wenn du so eine Taube hast, das ist für mich Vitalität.

Nur die sind Dünn gesät. Ganz Dünn.........................
Danke Thomas,

Vitalität im Alter von 17 Jahren, die gibt es schon noch, besonders bei Vögeln.
Weibchen lassen schneller mit dem Legen nach.
Eine Astaube zu züchten aus Eltern jenseits der zehn Jahre - so ein Beispiel kann ich Dir auch nicht mehr nennen.
Aber die Taube mit 8 Preisen mit 790 As-Punkten hat bei mir jedenfalls einen sehr hohen Stellenwert!

Kommt gut über die Feiertage
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  #46  
Alt 01.04.2010, 20:38
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Krake Krake ist offline
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Hallo Jörch,
kann ja nicht so schwer zu verstehen sein ,das ich meinte das solche Begriffe interpretationsfähig sind und auch reichlich bis zum Mißbrauch werden.
Und war doch auch deutlich zu lesen ,das Veranlagung und Führung
nur zusammen zum Erfolg führen d.h.eine Taube kann noch solche gute Veranlagungen haben ,wenn der Züchter Fehler macht wird auch bloß nichts.
Ausbleiben sagt garnichts aus ,es sei das Du Fehler gemacht hast.
6,7 Stunden ist doch eine sehr überschaubare Zeit für einen Flug z.b.
über 500km.

Gruß
Kraege
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  #47  
Alt 02.04.2010, 10:22
OOO OOO ist offline
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Standard nochmal Mut gefasst

Zitat:
Zitat von Krake Beitrag anzeigen
...Und war doch auch deutlich zu lesen ,das Veranlagung und Führung nur zusammen zum Erfolg führen...
Sorry,
aber da offensichtlich mindestens einer der aktiven IT Leser (die allermeisten sind eh inaktiv) über das Geschriebene zumindest kurz nachgedacht hat und es auch "geschnackelt" hat, habe ich doch noch einmal Mut gefasst, auf folgende Kernaussage näher einzugehen, weil aus ihr so viele Dinge für die eigene Arbeit auf dem Schlag folgen. Ev. hält sich ja der Zorn einiger weniger in Grenzen:

Zitat:
Zitat von OOO Beitrag anzeigen
P= I (Zufall) + D (Zufall) + A (durch Zuchtwahl steuerbare Größe) + U (Umweltfaktoren welche tw. auch zufällig sind tw. aber Züchtergeschick)
Im Grunde gilt dies für JEDE Eigenschaft, die wir an unseren Tieren beobachten:
Das, was wir von dieser Eigenschaft sehen/messen können/wahrnehmen nennen wir den Phänotypen P. Dieser wird neben den direkt durch Zuchtwahl steuerbaren Eigenschaften (A) immer auch durch zufällige genetische Faktoren (D und I sind zumindest nur ganz wenig direkt durch Zuchtwahl steuerbar und innerhalb einer Population nahezu zufällig) und (sehr wichtig!) die Umwelt (U) mitbestimmt.

In der modernen Tierzüchtung gibt man sich aber nicht mit dieser noch sehr unkonkreten Aussage zufrieden. Man hat hingegen bei den Nutztieren und AUCH BEIM RENNPFERD diese Zusammenhänge genau untersucht und in konkrete Zahlen gefasst. Die Tasache, dass sogar die Pferdezüchter von diesen Erkenntnisse weidlich Gebrauch machen, zeigt dann, dass sie auch den Taubenzüchtern nützen könnten, wenn man sich ihnen öffnet!

Im Konkreten geht man bei der "Erforschung" vereinfacht so vor, dass man einer Eigenschaft, die "normal" (meint den Mittelwert einer Population) ausgeprägt ist den Wert 100 zuordnet. Wenn ein Tier das Merkmal etwas geringer zeigt, erreicht es Werte von unter 100. Bei überdurchschnittlicher Leistung hat es einen Wert über 100.

Beginnen wir einfach
(rein fiktiv, da der obige Zusammenhang erst bei vielen beteiligten Genen wirklich zu gebrauchen ist):

Die rote Gefiederfarbe, welche durch nur ein dominantes geschlechtsgebundenes Gen vererbt wird, sähe in der Darstellung dann so aus:

Da epistatische Wirkungen nur selten auftreten (hier aber dennoch möglich sind, nämlich durch den ganz seltenen Dilute-Faktor könnte die Farbe von rot zu gelb verblassen), entfällt hier auf I ein sehr kleiner Anteil des Gesamtwertes. Sagen wir also mal I=2.

Bei der roten Gefiederfarbe kennen wir keinen Überdominanzeffekt (meint hier ja, dass sie stärker ausgeprägt wäre, wenn das Gen mischerbig vorliegt) also wäre hier D=0.

Die Umwelt hat einen leichten Einfluss auf die Gefiederfärbung. Bei Mangelernährung z.B. blasst sie schon während der Mauser aus. Durch Sonneneinstrahlung danach (sieht man ja gerade bei roten Tauben in der Mauser). Also sagen wir mal U=10.

Somit wäre also in unserem Beispiel folgendes gemessen worden:
F(rotes Gefieder)= 88% durch Zuchtwahl beeinflußbar + 2% durch Epistasie beeinflußt +10% durch die Umwelt beeinflußt

Die Vererblichkeit (Fachwort "Heritabilität") meint den Anteil, den wir durch Zuchtwahl beeinflussen können, wäre hier also sehr hoch, nämlich (wenn auch etwas vereinfacht) 88% bzw. 0,88.

In der modernen Zucht hat man nun für die jeweiligen Tiere diese wichtige Größe der Vererblichkeit (auch kurz h² in den Vorlesungen genannt) für alle relevanten Eigenschaften konkret ermittelt.

Einige Werte für die durch Zuchtwahl beeinflußbaren Anteile bei Hühnern lauten z.B.(siehe Comberg):
Geschlechtsreife: 0,42
Legeausdauer: 0,10
Körpergewicht: 0,56


Einige Werte von Pferden lauten z.B.:
Zugmanier: 0,14
Arbeitswilligkeit: 0,14
Umgänglichkeit: 0,22
Trab: 0,28
Renngeschwindigkeit :ca. 0,2 (siehe Comberg)

Die Legeausdauer bei Hühnern ist z.B. eine typische Vitalitätseigenschaft.
Wie schon zuvor oft geschrieben, ist ihre Vererblichkeit mit 0,1 sprich 10% nur sehr gering. Das meint hier konkret, dass dieses Merkmal zu 90% von Umweltfaktoren, Epistasie und Dominanz-Effekten bestimmt wird!
Wenn wir also auf eine hohe Legeausdauer züchten wollten, werden wir nur sehr sehr geringe Fortschritte von einer Generation zur Nächsten erzielen können.

Die uns interessierende Eigenschaft "schnelle Tauben" wird wahrscheinlich in einem Bereich ähnlich der Renngeschwindigkeit und der Leistungsbereitschaft(Arbeitswilligkeit) bei Pferden liegen. Also irgendwo zwischen 0,15-0,2. Geforscht wurde hier leider noch gar nicht. (Deshalb sage ich ja auch immer: Die Taubenzucht befindet sich tw. noch im Mittelalter!)

Zudem ist in Hinblick auf die Zucht schneller Brieftauben hier eines sehr wichtig:
Bei so einer niedrigen Heritabilität (Vererblichkeit) ist kaum noch zu unterscheiden, ob ein Tier nun deshalb in dieser Eigenschaft gut ist, weil es einen besseren Genotyp (hoher Wert in den additiven Eigenschaft A) besitzt, oder weil es einfach in den anderen bestimmenden Faktoren wie U, I, oder D Glück hatte.

Um also zu besseren Ergebnissen in der Zucht zu kommen ist es bei niedrigen Heritabilitäten immer wichtig, die Variation der Umweltbedingungen gering zu halten!
Nur dann erhalte ich etwas reproduzierbarere Aussagen zum wirklichen Zuchtwert, da U zwar immer noch hoch ist, aber zumindest nicht mehr stark schwankt.
Allein hierin liegt also schon begründet, warum auf Schlägen mit nicht konstantem Klima, stehts wechselnden Fütterungs- und Führungsmethoden kein Fortschritt in der Zucht zu erwarten ist.

Zudem sollte man nur die Rennergebnisse in die Leistungsbewertung einfließen lassen, die für die betrachtete Eigenschaft auch wirklich einen Aussagekraft haben. Ein "Verkrachter" bietet sicher kaum Aussagekraft, wenn ich die Eigenschaft "Schnelligkeit" beurteilen will.
Er könnte dagen hilfreich sein, wenn ich die Eigenschaft "Nervenstärke" oder "Orientierungsvermögen" bewerten will. Es ist also bei der Ermittlung/Interpretation der Leistung in Bezug auf die Zuchtentscheidung etwas mehr Nachdenken erforderlich, als nur Y von X Preisen zu zählen.

Zudem steigt die Sicherheit einer durch Zufall verfälschten Information mit ihrer Häufigkeit rapide an. Daher sollte die Zuchtentscheidung nicht auf einzelnen Ergebnissen basieren, sondern die Leistung sollte wiederholt erbracht worden sein!


Eine weitere wichtige Konsequenz ist zu ziehen für die Brieftaubenzucht (hatte ich in vielen Beiträgen auch immer mal einfließen lassen):
Wenn wir nun ein Tier für die Zucht ausgewählt haben, taten wir dies ja in der Hoffnung der Anteil A der vererblichen Eigenschaften sei groß. Wie oben gesehen, macht A aber ev. gerade einmal 15-20% der Wettflugerfolge der Taube aus!
Wenn wir also später einmal in der Zucht feststellen, dass ein Reise-As nichts zu stande bringt, sollten wir nicht zu geduldig mit ihm sein in der Zucht! Denn den wahren Wert von A erkennen wir ja eben in der Zucht. Und der ist dann hier eben leider doch einfach zu gering!

Also: Die Nachzuchtergebnisse sind bei geringen Heritabilitäten immer aussagekräftiger, als die erbrachten Eigenleistungen!


Und noch einmal zurück zur Vitalität:
Viele Vitaliätseigenschaften haben bei Hühnern Heritabilitäten von 0,05-0,15 also sehr niedrig. Bei Tauben ist es ganz sicher ebenso.

Steuern kann man Vitalität in der Zucht dennoch ein klein wenig, in dem man die Chancen für hohe Werte in I und D durch ein möglichst abwechslungsreiches Genom (Kreuzung) und Nutzung bekannter Passerfähigkeiten erhöht.

Die Steuerung von hohen Werten in A in der Zucht geht bei so geringen Heritabilitäten nur über die Festlegung eines bekannt sehr guten Pakets von Eigenschaften in A über den Weg der Inzucht (sprich Inzucht auf einen bewiesenen Topvererber!).

Und so, da beide Wege zu einander im Widerspruch stehen, wird klar, warum eine Zuchtstrategie flexibel sein muß und sich insbesondere an den aktuellen Gegebenheiten des Bestandes orientierun muss.


(in der Hoffnung, dass nun die Inhaltsfülle des Postings#3 etwas besser zu erkennen ist)

Grüße
Meinolf
PS: Ich finde das Thema halt wirklich sehr spannend. Und zudem finde ich es sehr schade, dass die Taubenzüchter im Vergleich zu den allermeisten anderen Tierzuchten hier den Zug der Zeit völlig verpasst haben. Denn man kann die Erkenntnisse wirklich gewinnbringend nutzen, wie auch die Verlinkte Zuchtwertschätzung der Süddeutschen Kaltblutzucht klar deutlich macht.
Klar ist mir aber auch, dass mancher Taubenverkäufer wenig interesse an einer transparenteren und objektiveren Zuchtbewertung hätte
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  #48  
Alt 02.04.2010, 13:37
OOO OOO ist offline
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Standard noch etwas weil es mir keine Ruhe läßt nach den Angriffen

Konflikte zum Thema, in wie weit die Beschäftigung mit der Populationsgenetik in der Brieftaubenzucht sinnvoll ist, hat es in diesem Forum ja auch schon früher einmal gegeben. Der damals sehr anerkannte Tierarzt und Taubenzüchter Dr. Tiberius Mohr (leider lebt er nicht mehr) schrieb im Jahre 2000 hier in einem Thread (aus dem ich übrigens meine Buchtips habe)

Zitat:
Zitat von Tiberius Mohr, Tierarzt Beitrag anzeigen
...Die Zucht auf Leistungsfähigkeit kann ausschließlich mit populationsgenetischen Methoden geführt werden — wie bei allen anderen Leistungstieren auch. Ganz egal ob es sich um Geschwindigkeit, Ausdauer oder Orientierungsvermögen handelt, die Taube macht hier keine Ausnahme.
...
...In keiner anderen Leistungszucht wird so viel Hokuspokus getrieben wie in der Brieftaubenzucht. Zwar haben Hunde- und Katzenzüchter auch so ihre Merkwürdigkeiten, aber verglichen mit den Taubenzüchtern schreiten sie auf ihrem Zuchtweg regelrecht tugendhaft.
...
...Ich hoffe sehr, daß jetzt keine Reaktionen nach dem Motto „die Taube ist keine Kuh“ ins Forum gesetzt werden. Man sollte sich auch die Peinlichkeit laienhafter Belehrungen wie „man weiß doch nicht einmal genau wie die Leistung vererbt wird“ sparen. Man braucht nicht zu wissen, wie bzw. wo das Merkmal im Genom kodiert und wie es vererbt wird, um mit populationsgenetischen Methoden erfolgreich daraufhin zu arbeiten.
...
...Die Gesetze der Populationsgenetik sind artübergreifend und haben bei der Taube genau so ihre Gültigkeit wie beim Pferd oder der Schildkröte — außerdem ist das nicht meine persönliche Meinung, es ist gesichertes tierzüchterisches Wissen (siehe Comberg).
Tierzucht ist keine Religion, Tierzucht ist eine Wissenschaft. Es kann zwar jeder glauben was er will, nur ist die Leistungszucht keine Glaubensfrage.
Ich komme mir schon sehr eigenartig vor, wenn ich diese Zeilen schreibe... Es ist so, als würde ich versuchen jemanden davon zu überzeugen, daß die Erde rund und nicht flach ist ...
Zitat:
Zitat von Tiberius Mohr, Tierarzt Beitrag anzeigen
...Vor einigen Jahren habe ich ein Buch über die genetischen Grundlagen der Brieftauben-Leistungszucht verfaßt. Aus Zeitgründen konnte ich es aber leider nicht allein fertigstellen — zumal ich dem Buch „Medizinische Versorgung im Brieftaubensport“ den Vorrang gegeben habe. Für die Fertigstellung einiger Kapitel habe ich mich an einen Professor für Tierzucht und Haustiergenetik aus einem Tierzuchtinstitut einer deutschen Universität gewandt, der sehr viel mit Brieftauben geforscht hat. Wir kannten uns bereits seit 15 Jahren und er reagierte auf meine Anfrage zunächst positiv. Als ich dann erwähnte, daß das Buch nicht für Tierärzte sondern für Taubenzüchter bestimmt ist, winkte er sofort ab. ...

...Das Manuskript liegt seitdem in der Schublade — und dort wird es vermutlich auch bleiben, denn auch ich habe kein Verlangen danach, ...
..meine Zeit damit zu verschwenden, selbstverständliche, längst bekannte und wissenschaftlich anerkannte Dinge pausenlos gegen die Brandung zu schreien.
Harte Worte, die Herr Dr. Mohr damals gefunden hat.

Ich finde Aufklärung braucht eben ihre Zeit. Daher wäre es toll gewesen, wenn Herr Mohr sein Manuskript veröffentlicht hätte. Und daher teile ich nicht seine damalige Auffassung, an diesem Punkt aufzugeben.
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  #49  
Alt 02.04.2010, 13:54
Benutzerbild von Jörch
Jörch Jörch ist offline
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Hallo Meinolf,

das ist doch klar, dass UMWELT und VERANLAGUNG eine Rolle spielen.
Form (die ich durch Umweltbedingungen maßgeblich beeinflussen kann) schlägt Klasse (= Veranlagung) - das wird doch dadurch auch belegt.
Aber mal eine fachliche Frage:
Stimmt es tatsächlch, dass man auch in der BT Zucht davon ausgehen kann, dass die ENKEL von Assen wieder gut fliegen, weil sich in der F2 Generation manche Dinge wieder finden...? Ist es denn so, dass die KINDER von Assen vielleicht nicht gut fliegen - aber die Enkel es tatsächlich wieder mit einer höheren Wahrscheinlichkeit können?

Was kannst Du dazu sagen?

Grüße, Jörg
__________________
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  #50  
Alt 02.04.2010, 14:31
OOO OOO ist offline
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Zitat:
Zitat von Jörch Beitrag anzeigen
...Stimmt es tatsächlch, dass man auch in der BT Zucht davon ausgehen kann, dass die ENKEL von Assen wieder gut fliegen, weil sich in der F2 Generation manche Dinge wieder finden...? Ist es denn so, dass die KINDER von Assen vielleicht nicht gut fliegen - aber die Enkel es tatsächlich wieder mit einer höheren Wahrscheinlichkeit können?...
Diese Aussage stammt aus der "Mendel'schen Genetik" und geht auf seine "Aufspaltungsregel" zurück. Doch die gesamte "Mendel'sche Gentik" läßt sich nur auf Phänomene anwenden, die durch einzelne Gene bestimmt werden (wie z.B. Gefiederfarben).

Leistungseigenschaften gehen aber auf dutzende, hunderte tw. sogar tausende Gene zurück! Langer rede kurzer Sinn (egal welches "wenn" und "aber" jetzt wieder kommt):
Die Aussage ist falsch. Einzeleffekte sind immer mal wieder zu beobachten. Statistisch haltbar, so dass man daraus eine Zuchtregel entwickeln könnte, ist es aber definitiv nicht!
Im Gegenteil: Fliegen Kinder einer guten Taube nicht, würde ich diese nicht weiter in der Zucht probieren, sondern auch den vater aus der Zucht entfernen. Denn der hat mir zu wenig Indizien für einen hohen Wert in A geliefert! Und würde ich mit seinen Kindern weiterzüchten, würden sie meinen Stamm auch in A nicht weiter verbessern können.
Eben weil die Fortschritte in der Leistungszucht so gering sind, ist die Zuchtdisziplin so dringend notwendig! Jede Information, die mir einen Hinweis auf das so schwer zu fassende A gibt, muß ich nutzen und konsequent umsetzen (Auch Erfolge in direkter Verwandschaft und Nachzucht!)

So gesehen (wie in deiner Frage ersichtlich) ist die Kenntnis und Anwendung der Mendelschen Genetik bei der Bewertung von Leistungseigenschaften schon fast mehr schädlich als nützlich.


Zu deiner fast saloppen Bemerkung: "das mit der Umwelt war doch klar":
Was meinst du wie vielen Züchtern wirklich klar ist, dass sie, wenn sie ein Tier mit sehr guter Leistung für sehr viel Geld kaufen, viel Geld bezahlen für diesen Leistungsnachweis in den Flugergebnissen bezahlen, der aber zu 80-85% von nicht weitervererblichen Faktoren abhängt?.
So wie manche Taubenspreise aussehen, würde ich sagen: Es sind nicht viele. Und wenn man dann noch sieht was nicht erprobte Enkel, Urenkel etc. so bringen,....

Transparent wäre es hingegen, wenn, wie tatsächlich in fast allen anderen Tierzuchten üblich, die Zuchtwerte selbst ermittelt und veröffentlicht würden (was tatsächlich geht), anstatt die Information, die zur Zuchtwertermittlung nur einen kleinen Teil beiträgt, voranzustellen. Dann wüßte man nämlich genau was man kauft. Und auch wie weit man erwarten kann, damit die eigenen Ergebnisse zu verbessern.

Grüße
Meinolf
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